Kultur: Der Hype, der aus dem Osten kommt
Der slowakische Kultautor Michal Hvorecky las im Al Globe aus seinem Buch „City“
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„City“ heißt die Stadt, die laut Titel des Romans von Michal Hvorecky „der unwahrscheinlichste aller Orte“ ist und in der sich der Held Irvin Mirsky nach anderthalb Wüstenjahren verliebt. Das ist ihm eine äußerst unerwartete Regung, denn bisher hat er, der Internet-Junkie, all seine emotionale Energie ins weltweite Netz geworfen und sie nicht an real existierende Personen verschenkt. Aber das Wesen der Liebe ist es bekanntlich ja, die größten Schwierigkeiten zu überwinden, bleibt also Hoffnung auf wirkliches Leben, wirkliche Lust und wirkliche Enttäuschung.
Ob sein trister Held der Topmoderne das alles so erleben darf, verriet der erst dreißigjährige Star der slowakischen Literatur am Dienstagabend nicht, als er, blond, bebrillt, in Turnschuhen, Jeans und Streifenhemd im Al Globe freundlich auf sein Publikum hinunter lächelte. Bratislava ist eine junge, brodelnde Stadt, und Micha Hvorecky ein Kultautor und sein Roman „City: Der unwahrscheinlichste aller Orte“ ein Kultroman, den es hierzulande zu entdecken gilt. Neben ihm saß der Übersetzer Mirko Kraetsch, der in diesem Jahr drei Bücher aus dem Tschechischen und Slowakischen ins Deutsche bringt und uns somit mit einer Literatur vertraut macht, die wir wenig kennen, orientieren wir uns doch kulturell weitaus stärker nach dem goldenen Westen als nach dem, wie uns dünkt, stumpfen Osten. Das weiß auch das osteuropäische Team , und weil es nicht hundertprozentig der literarischen Kraft des geschriebenen Wortes glaubt, meldete sich bei der Lesung DJ Tibor Holoda mit sphärisch-metallenen Klängen aus der Apple-Anlage, die als wuchtige Elektroeinrichtung unübersehbar auf der linken Bühnenseite thronte.
Es war ein wenig so, als seien diese jungen Menschen genau der Welt entsprungen, die dem Helden Irvin Mirsky mannigfach Leidensangebote macht. Da ist zum einen seine Internet-Abhängigkeit, die er bekämpft, indem er anderthalb Jahre in die Wüste zieht, da ist die Ankunft in der Megastadt „City“, Hauptstadt von Supereuropa, in der das Angebot tatsächlicher Liebe mit einer realen Person ebenso Furcht einflößt wie die Aussicht auf lebenslanges Dasein als Netz-Junkie. Diese Welt der blühenden Internet-Pornographie, in der die Babys „Gucci“ oder „Nivea“ heißen, ist, wie Hvorecky in der – seltsamerweise ohne Musikuntermalung auskommenden – Diskussion ausführte, von der unsrigen nicht allzu weit entfernt.
In China gibt es schon Kliniken für Internetsüchtige, in Korea ist ein junger Mann vor seinem Computer verhungert, weil er einfach nicht die Kraft hatte, sich aus der virtuellen in die reale Welt zu begeben, und in der Slowakei sind viele Leute seiner Generation drogensüchtig.
Er, der 1976 geboren wurde, war dreizehn, als die Wende kam, und „plötzlich war alles erlaubt“, nachdem vorher alles verboten war. Kein Wunder, dass die aus der Bahn geworfenen Jugendlichen zweifelhafte Zuflucht im unsicheren Drogenort suchten und sich nur virtuell in der Liebe bis in die letzte Körperdrehung auskennen.
Der Roman greift im traditionellen Duktus die Science-Fiction Tendenzen einer „schönen neuen Welt“ auf, deren Herz- und Seelenlosigkeit nicht nur die jungen Menschen in der Slowakei verunsichert. Es gibt viel zu entdecken am europäischen Neuland, das sich offensichtlich ganz und gar in die Internationale der Virtualität integriert. Lore Bardens
Lore Bardens
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