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Kultur: Der König und die Königin
Chris Hinzes „Nandanga“ im Kunsthaus „sans titre“
Stand:
Das Kunsthaus „sans titre“ ist eigentlich immer eine Empfehlung. Weiße Wände ohne first-class-Politur, wärmespendende Kaminöfen oben und im Parterre bei klirrender Kälte draußen, eine interessante Ausstellung, dazu ist das Haus mit dem praktischen „ohne Titel“ im Namen ja schließlich da. Und so lässt man sich das auch gefallen, besonders wenn ein Künstler wie Chris Hinze sich mit ernsten und erhabenen Themen beschäftigt.
„Nandanga“ hat er seine Skulpturenausstellung im Obergeschoss des namenlosen Ortes benannt, fast wie ein Mantra. Das bedeutet nichts weniger als alles, vielleicht aber auch alles andere als nichts. Seiner Geburt nach ist er Spreewälder, seiner Profession nach erst Musiker, dann einer der bildhaften Künste, von seinem Weg her ein Autodidakt. Das sind sowieso meist die Besten. Wie das Haus also „sans titre“ ist, so arbeitet auch Chris Hinze gern ohne Titel, das macht den Zuschauer wichtig. Bei „Nandanga“ freilich sind die „o.T.“ in der Minderheit. Vielleicht ist das angesichts seiner betont archaischen Form- und Themensprache auch gut so, zumal er mit Materialien arbeitet, die sowohl auf die Vergangenheit als auch auf Zukunfts Dauer deuten. Links am Eingang wird man zum Beispiel von einem „Königspaar“ aus mehrhundertjährigem Brunnenholz begrüßt. Hinze hat es hier geschafft, die Einheit der Personen und die Würde ihres Amtes allein durch Form und Körperausdruck wiederzugeben, weder die Gesichter noch ihre Geschlechtsmerkmale sind gearbeitet. Trotzdem sind sie als Mann und Frau, als Königin und König, erkennbar. Sein Formwille drängt geradezu mit Macht zur Abstraktion – um trotzdem figürlich zu bleiben. Was sagte Delacroix über die Bildhauer: „Wenn sie die Form anlegen, erfüllen sie alle Bedingungen ihrer Kunst.“ So einfach.
Abgesehen von des Künstlers Freundin, deren Alu-Bild vielleicht so an die Wand gekommen sein mag wie Frosch-König im Märchen, sind die anderen Arbeiten, allesamt in den letzten fünfzehn Monaten gemacht, ganz der Archaik, also der Zeitlosigkeit, geweiht. Die in Alu gegossene „Wächterin der Unterwelt“ lässt zwar kurze Durchblicke in ihr Reich zu, versperrt aber jedem den Weg, dafür sind solche Kräfte ja da! Auch beim „Kleinen Tor“ ist die Schau dahinter möglich, es lohnt, das Objekt zu umrunden. Überlebensgroß der imposante „Lang-Bogenschütze“ als Modell in Bronze: So haben die Horden des Ostens also Rom besiegt!
Überhaupt ist bei Hinze alles anregend: „Energie“ in Bronze als ein sich nach oben verjüngendes Segel, „Das Paar“ oder „Krieger“ fast wie Schattenrisse gemacht, lange klapperdürre Etwasse, ein wenig an Giaccometti oder Picasso erinnernd: ein Schurke auch, wer seine Lehrer verleugnete!
Ganz besonders eindrucksvoll diese unbeplankten Boote, wie man sie ständig im Spreewald und neulich auch bei „Made in Potsdam“ sah; das Intelligenteste dieser Schau überhaupt. Hier hat der Künstler ein rotlackiertes Seelenfahrzeug daraus gebaut, mit einer in Filz gehüllten Form darin. Für die letzte Reise zum Beispiel, nach einer Idee der ägyptischen Totenbücher oder von Baldrs Begräbnis im nordischen Raum. Gerippe in völliger Ruhe, irgendwie streng, aber schön. Der „Hüter des Ports“ ist womöglich der dazugehörige Wächter.
Sind das noch Figuren oder schon ihre Schatten, wie die arme Freundin vorn an der Wand? Psychologie fällt in dieser Schau ja weg, hier geht es um Ausdruck und Form: König und Königin halten sich gerade in starrer Würde, die Throne fehlen doch sehr. Tore zur Unterwelt sind immer auch Tore zur Welt, im „sans titre“ verlässt man derzeit die Gegenwart, um in derselben anzukommen, mit anderer Zeit, oder keiner. Archaik als die elastischste Art, den gefesselten Geist von heut zu befreien. Diese Ausstellung mit dem Geheimnis Nandanga kann das.
Gerold Paul
Zu sehen im Kunsthaus „sans titre“, bis zum 7. April, Do bis So von 14 bis 18 Uhr, Französische Straße 18
Gerold Paul
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