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Kultur: Der Körper als Bühne

Intimität vor Publikum: Ein belgisches Duo überraschte in der fabrik mit der Performance „Map me“

Stand:

Zwei nackte Menschen liegen bewegungslos im halbdunklen Vorderraum der Bühne, einander zu- und vom Publikum abgewandt. Sie liegen auf ihrer schmalsten Seite. Es ist ruhig, während sich der Zuschauerraum der fabrik fast vollständig füllt. Der Mann (Kurt Vandendriesche) bewegt sich, er legt sich mit seiner Schmalseite auf die Frau (Charlotte Vanden Eynde), so dass ihre in den Zuschauerraum zeigenden, übereinander gestapelten Rücken fast eine Wand ergeben. Darauf wird der Film projiziert, der zuerst als Farb- und Tonsignal wie früher beim Senderumschalten die Besucher erschreckt. Dann erscheint die Titelschrift der Performance der beiden Belgier, die am Samstagabend Premiere hatte: „Map me“ (kartografiere mich). Und schon verändert sich die Körperwand, ohne sich zu bewegen.

Schnell ist die Abfolge der Nahaufnahmen von Hautzonen. Man erkennt Furchen und Risse von einer Handinnenfläche, die wie Baumstämme wirken, einen Daumenabdruck, auch ein Auge, Lippen, die sich oben und unten auf dieser menschlichen Filmleinwand zu öffnen scheinen, sekundenweise tauchen Haarwälder in naher Zoomaufnahme auf, eine Großaufnahme der Haut erinnert an die Oberfläche von hellen Steinen. Der gesamte Körper wird zur Bühne eines spannungsgeladenen Dramas. Und verändert so die Wahrnehmung des normalerweise automatisch funktionierenden und unreflektierten Leibes. Hinzu kommt die außergewöhnliche und mit den Zuschauern geteilte Intimität des nackten Paares, die nichts Voyeuristisches an sich hat, sondern zum Staunen einlädt.

Stark und berührend ist auch das zweite Bild, das den Rücken des auf dem Boden sitzenden Mannes als Projektionsfläche für Überraschungseffekte nutzt. Da streichen die beiden Frauenhände – von denen man zunächst noch nicht weiß, ob sie projiziert werden, oder ob es die lebendigen Hände sind – vom Nacken über den Rücken. Der wandelt sich zu einer lehmartigen Masse, in die die Frauenhände mit offensichtlicher Lust Strukturen ritzen. Da entsteht eine Leiter um die Wirbelsäule herum oder ein Finger bohrt genüsslich ein Loch in den Rücken. Spätestens dann ist klar, dass es Filmhände sind, die augenzwinkernd wiederkommen, um das Loch auch wieder zuzugipsen. Am Ende dieser Sequenz fürchtet man kurzfristig, dass der Rücken aufgerissen werden könnte. Doch bleibt er unversehrt und an einen schlammigen Strand erinnernd zurück.

Mit diesen Videostücken beginnt die aus insgesamt sieben Sequenzen bestehende Performance, bei denen der Leib zum Landschafts- und Fantasiedrama wird. Und von Anfang an werden sehr starke und ästhetische Bilder geschaffen. In „Mess me“ (Bring mich durcheinander) verwandelte sich die Frau mit dem schwanger sich wölbenden Bauch in eine Kommode à la Salvador Dali, aus deren Schubladen scheinbar wahllos Kleidungsstücke gezogen werden. Am Ende hängt ihr eine Socke aus dem Auge.

In der zweiten Hälfte agieren die beiden Performer dann direkt miteinander, bei „Join me“ arbeiteten sie mit hellen Fäden, die sie an die Brustwarzen respektive das männliche Geschlechtsteil befestigen und sich dann wie Marionetten bewegen. Bei „Join me again“ umwickeln sie – für die Zuschauer qualvoll und bei den Künstlern selbst Atemnot hervorrufend – per Klebeband ihre mit Plastikfolie bedeckten Köpfe so miteinander zusammen, dass aus ihren Körpern ein Tier mit vier Armen und Beinen, aber nur einem Kopf entsteht. So können sie zu der hier einmalig eingesetzten feurigen Musik nur sehr vorsichtig ihre Gliedmaßen tanzartig bewegen, und es ist, als seien sie direkt aus einem surrealistischen Gemälde gestiegen. Am Ende werden ihre Körper dann wieder zur Leinwand, auf der mit Lippenstift die Umrisse des Babys auf die beiden Körper so aufgetragen sind, dass das Kind als Einheit nur erscheint, wenn sie ihre Hüften aneinander schmiegen. Insgesamt wirkt diese zweite Hälfte, an deren Ende sie die Intimität der nackten Körper mit Schneeanzügen verhüllen, dramaturgisch schwächer als der sehr starke Einstieg.

Aber die etwas mehr als einstündige Performance war durchaus überraschend, unterhaltsam und schenkte einen innovativen Blick auf den menschlichen Leib, das Wunder der Schwangerschaft und den Moment der auch vor Publikum gelingenden Intimität.

Lore Bardens

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