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Den Krieg bezwingen? Vergessen lässt er sich in der allgegenwärtigen Nachrichtenflut nicht, trotzdem bleibt er oft abstrakt und fern – solange er einen nicht direkt betrifft. Der Schauspieler Michael Gerlinger will das mit einem Theaterstück ändern.

© dpa

Kultur: Der Krieg in dir

Der Schauspieler Michael Gerlinger sucht in Potsdam Jugendliche für ein Stück über eines der ältesten Themen der Menschheit. Er arbeitet halb dokumentarisch, halb an Aischylos’ „Die Perser“ angelehnt

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Er ist so alt wie die Menschen selbst – und war doch schon ganz weit weg. In Deutschland zumindest, in den vergangenen Jahrzehnten, konnte man den Krieg fast ein wenig vergessen. Was anderswo passierte, nun ja, das war eben auch immer sehr weit weg. Gerade aber da scheint sich wieder etwas zu verschieben. Da ertrinken Menschen im Mittelmeer, nicht ein paar, sondern zu Tausenden – und nur, weil sie auf der Flucht sind vor dem Krieg. Dem in Syrien etwa.

Um den „Krieg in mir, in dir, in uns“ – darum geht es dem Schauspieler Michael Gerlinger in seinem neuen Projekt. Ein Theaterstück mit Jugendlichen will er schreiben, inszenieren und aufführen, imNovember soll es im Treffpunkt Freizeit uraufgeführt werden. Gut, noch fehlen Gerlinger die Darsteller, noch sucht er nach jungen Menschen im Alter von 14 bis 21 Jahren, „gerne auch Flüchtlingen“, wie er sagt. Das Stück soll zwar kein explizites Flüchtlingsprojekt werden, dennoch schreit das Thema Krieg ja danach, auch Jugendlichen eine Stimme zu geben, die ihn selbst erlebt haben, den Krieg.

Wichtig ist, dass es am Ende viele sind, bis zu 30, schon allein deshalb, weil Gerlinger den klassischen Chor im Theater liebt – das kollektive Sprechen also, das seine Wurzeln ja in der klassischen griechischen Tragödie hat. Dort kommentierte der Chor die zentralen Themen des Stücks und zeigte, wie ein ideales Publikum auf das Drama zu reagieren habe. Für Gerlinger hat der Chor vor allem eine eigene gestalterische und ästhetische Qualität: „Wenn 20 Leute etwas flüstern, entsteht eine ganz andere Atmosphäre, als wenn nur einer wispert.“ Und dann geht es ja beim Krieg eben auch um Gruppen, die gegeneinander kämpfen, da passt das Bild der Horde auf der Bühne natürlich gut.

Und es fügt sich natürlich wunderbar zu den Texten Aischylos’, dem ältesten der drei großen Dichter der griechischen Tragödie, der mit „Die Perser“ – uraufgeführt 472 v. Chr. und damit das älteste erhaltene Drama der Welt – über den Krieg geschrieben hat. Darin gibt es Texte eines Boten, der von der Niederlage der Perser erzählt – Aischylos selbst war zwar Grieche, erzählt in seinem Stück aber als Perser vom Untergang der persischen Flotte. Im Stück geht es zwar auch noch um andere Aspekte des Krieges, um das Leiden der Mütter und Frauen, Gerlinger aber will sich auf die Botentexte konzentrieren. Vielleicht deshalb, weil die Medien heute eine so entscheidende Rolle in der Deutung der Konflikte übernehmen.

„Wir werden heute so zugeballert mit Nachrichten, dass ich es spannend fand, das mit einem der ältesten Nachrichtentexte über den Krieg querzuschneiden“, sagt er. Querschneiden, also gegenüberstellen, will er das mit Interviews, die er gemeinsam mit den Jugendlichen führen will – mit Flüchtlingen, die in Potsdam gestrandet sind und ebenso mit Menschen, die den Krieg hier noch erlebt haben.

Als dritte Ebene will er mit den Jugendlichen eigene Texte erarbeiten, individuelle Erzählungen dessen, was Krieg für jeden Einzelnen persönlich bedeutet und wo er überall stattfinden kann. „Das kann auch ein kriegerisches Gefühl gegenüber einer Sache sein, das mag dann vielleicht komisch oder lustig rüberkommen, aber da will ich nichts festlegen“, sagt Gerlinger.

Für ihn selbst, sagt er, war es aber klar die politische Situation, die den Ausschlag gab für das Projekt. „Ich bin ja ein Kind der 1980er-Jahre, aufgewachsen in Süddeutschland, und natürlich war ich bei der Friedenskette zwischen Stuttgart und Ulm mit dabei.“ Da ging es um die Pershing II – also atomare Mittelstreckenraketen, die in Mitteleuropa stationiert werden sollten. Trotzdem, findet er heute, war das alles sehr aufgehoben damals. „Jetzt, heute, kommt er einfach näher, der Krieg.“ Was er meint: Es finden tatsächliche Kriege in Europa statt. Angst will er nicht schüren, im Gegenteil. „Wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzt, kann man viel eher damit umgehen.“ Nicht mit oberflächlichen Floskeln, mit einfachen Losungen. Was er will, ist dass die Jugendlichen einander zuhören, sich einfühlen in das, was andere erlebt haben.

Aischylos kann da helfen, weil er ebenfalls sehr genau hingeschaut hat – wie die Schiffe aufeinanderprallen, die Ruder zerbersten. „Da hörst du den Krach förmlich“, sagt Gerlinger. Einen Vergleich mit dem heute oft kritisierten, noch häufiger praktizierten Draufhalten der Medien – bei Unfällen, Leid und Tod – lässt er nicht zu. „Wenn ein Dichter so etwas beschreibt, entstehen die Bilder im Kopf.“ Mit Sensationslust habe das wenig zu tun. Was ihn ärgert: „Ich bekomme bei all der Berichterstattung nichts mit von den kleinen Leuten.“ Oft frage man sich, warum das alles überhaupt erzählt wird – „weil dann der Dax fällt?“. Die Politiker, sagt Gerlinger, versuchen auch nur oberflächlich, etwas zu klären. Menschlicher, näher – auch ergreifender soll es in seinem Stück werden, durch reale, echte Erfahrungen der Teilnehmer. Aischylos braucht er dann, um das Ganze dann wieder auf eine künstlerische Ebene zu heben.

Interessierte Jugendliche, die an dem Projekt teilnehmen wollen, melden sich bei Michael Gerlinger über potsdam@michael-gerlinger.de. Ein erstes Treffen findet in der letzten Mai-Woche statt.

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