zum Hauptinhalt

Kultur: Der Lack ist ab

Wiglaf Droste las in der Reithalle

Stand:

„Man hatte mich vor Potsdam gewarnt“, sagt Wiglaf Droste in die Stille hinein. Da hatte der berüchtigte Scharfpolemiker und Provokateur soeben einen Witz erzählt, worin der junge Pole Karol Wojtyla trotz seines Einwands: „Nicht schlagen, ich werde mal Papst“ von dem Hitlerjungen Joseph Ratzinger mit den Worten: „Klar, und ich bin dein Nachfolger“ zu Boden geschlagen wird. Betretenes Schweigen bei den gut 120 Gästen, die sich erst nach einigen Sekunden wieder fangen und dann die weiteren satirischen Geschosse aber durchweg lautstark mit Lachsalven und jedes einzelne vorgetragene Prosastückchen mit heftigem Beifall quittieren. Die Reithalle ist für den säbelbeinigen, kleinen dicken Westfalen mit dem breitkrempigen schwarzen Hut und der seltsamen Zimmermannskluft am Samstagabend somit sicheres Terrain.

Mit jüngsten soliden Arbeitnachweisen lädt Droste zur Lesung, obwohl er darin durchaus noch scharfzüngige und abenteuerlich wortverspielte Attacken gegen die Dumpfbackigkeit seiner Mitmenschen und seine alten Lieblingsfeinde fährt, allen voran die kirchlichen Würdenträger. Doch ist sein neuestes Buch „Auf sie mit Idyll“, das er von März bis Juli 2009 als Stadtschreiber im brandenburgischen Rheinsberg begonnen hat, am Ende vergleichsweise zahm, ja beschaulich ausgefallen.

Und als wolle er zunächst an seinen einstigen Brandenburg-Ekel erinnern, liest Droste ganz tapfer und unter kollektivem Gelächter „Das gelbe Elend“ vor, einen früheren Text, darin das ganze Land Brandenburg „wie totgeprügelt herumliegt“, wie eine „erbrochene Pizza“ aussieht und deshalb komplett untertunnelt werden müsse. Dann aber sei die Einladung nach Rheinsberg gekommen und sein Blick habe sich verändert, sagt Droste und greift zu seinem neuen Buch.

Glücklicherweise aber verschont der fast 50-Jährige dann an diesem Abend das Publikum mit den darin aufgezählten Kochrezepten und Lobliedern auf seine Lieblingsmusiker und Autoren, wie Peter Hacks, den er sehr schätzt und von dem er einen Blondinenwitz und selbstironische Gedichtchen zum Besten gibt. Im Gegenzug bekommt die „alte Stinkpfeife und Lübecker Marzipanfigur“ Günter Grass mit ihrer „widerlichen Greisengeilheit“ wieder ordentlich Hiebe. Schlicht albern und infantil nur sind Geschichten über das Scrabble-Spiel etwa, wenn der Witz längst versandet ist, der Text jedoch noch andauert.

Doch Droste weiß eben auch um die Wirksamkeit vorgetragener Worte, sodass die seichte, bisweilen ermüdende Spottlust in seinen jüngsten Abrechnungen mit Gerüstbauern, devoten Kellnern, athletischen Rentnern oder der Band Silbermond erst durch eine tatsächlich gute Rezitation ihren Charme erhält und hie und da eine schöne Abrundung dank a capella gesungener Liedchen ist.

Knapp zwei Stunden erfreut Wiglaf Droste als „Mann bei der Arbeit“ sein Publikum gekonnt. Vornehmlich mit Texten aus älteren Büchern, die er sicher nicht von ungefähr eingepackt hat, mit losen Blättern und frechen Späßchen aus dem Stegreif. Fabelhaft seine Grönemeyer-Parodie, das Herumreiten auf „Schiffsverkäähr“, die bissig bösen Polemiken gegen Bono Fox und dessen „Elendabgreifalben“ oder die „Hitlerwiederaufbereitungsanlage“ Guido Knopp.

Dann ist der Ofen aus, und als Zugabe kommen die Fische, das Schlemmerfilet à la Bordelaise, ein gefrorenes Rechteck aus Fischmus mit einer Kruste aus Rost, das angeblich keiner der Gäste jemals verspeist haben will. Dann kann Droste also noch ein wenig vom Fischgrätenwerfer singen. Intonierter Blödsinn und Fingertrommelfaxen, doch mit so viel Liebe und Hingabe dargeboten, wie es ein abschließendes: „Danke, sagenhaftes Potsdam“ nun mal einfordert. Fern scheinen sie nicht mehr, die Tage, an denen die alte Skandalnudel Droste auch noch anfängt zu tanzen und dazu Altherrenwitze reißt.

Daniel Flügel

Daniel Flügel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })