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Kultur: Der letzte Welterklärer

Peter Scholl-Latour: eloquent und tiefgründig

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Applaus war sein ständiger Begleiter. Unter lang anhaltendem Beifall betrat Peter Scholl-Latour am Mittwochabend die Bühne der fast bis auf den letzten Platz gefüllten Waschhaus Arena. Statt seines neuen, mittlerweile 30. Buches „Die Angst des weißen Mannes. Ein Abgesang“ hatte er nur einige mit Stichpunkten beschriebene Zettel dabei. Keine Lesung, sondern ein fast anderthalbstündiger Vortrag voller Fakten aus der westlichen Kolonialgeschichte, historisch-politischen Aspekten und stets klaren Visionen zukünftiger weltpolitischer Umwälzungen.

Kaum hatte der mittlerweile 85-jährige Scholl-Latour Platz genommen, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus: gewandt und eloquent, tiefgründig und umfassend, unterhaltsam und bannend, vor allem aber ehrlich und aufrichtig, mit der Abgeklärtheit eines seit Jahrzehnten unermüdlichen Weltreisenden. Der Gedanke zu seinem neuen Buch sei ihm auf der Insel Ost-Timor gekommen, die er auf den Tag genau 500 Jahre nach der Landung der ersten Portugiesen betreten habe. Einst habe dieses Ereignis den Beginn der europäischen Weltausdehnung und damit den Beginn der Weltbeherrschung durch den „weißen Mann“ markiert, die nun unwiederbringlich zu Ende gehe.

Vom Ausgangspunkt seiner Betrachtungen, Ost-Timor, zeichnete Scholl-Latour in groben Zügen die Geschichte der ersten großen Kolonialmacht Portugal nach. Was die ehemaligen Kolonialherren in die Ferne brachten, sei lange Zeit durchaus auch begrüßenswert gewesen. Dennoch ist die westliche Hegemonie an ihren Abschluss gelangt. Gerade im zentral- und südostasiatischen Raum werde sich die weltpolitische Entwicklung der nächsten Jahre entscheiden. Schon jetzt weiche der westliche einem östlichen, genauer, dem chinesischen Einfluss. Der westliche Demokratiebegriff werde im Osten abgelehnt und keinesfalls als der Idealzustand menschlichen Zusammenlebens definiert. Etwas verschmitzt gab Scholl-Latour zu bedenken, dass der Streit über das Mindestgehalt eines Briefträgers China wohl schon an den Rand des Abgrunds gebracht haben würde.

Wladimir Putin, den sich schon jetzt die Mehrheit der Russen zurückwünsche, werde in der westlichen Welt stets als schlechter Demokrat bezeichnet, im Gegenzug aber akzeptiere man Muammar al-Gaddafi, einen lupenreinen Terroristen, als Verhandlungspartner. Deutlicher könne Heuchelei nicht sein. Bei allen weiteren Beispielen, Bezügen und Verknüpfungen, die Scholl-Latour in munterer, ungebremster Rede herzustellen vermochte, war leicht herauszuhören, dass eine bessere Zukunft des „Westens“ nur in einer Vermischung mit den einheimischen Kulturen und der Anerkennung der Tugenden des Ostens zu suchen sei.

Welche Arroganz verberge sich dahinter, Chinas rasanten Aufstieg immer als Bedrohung zu bezeichnen. Wenn auch nicht von ungefähr, so habe zumindest Barack Obama die Zeichen der Zeit erkannt und sich schon dem pazifischen Raum zugewandt. Für seine Afghanistan-Politik jedoch verurteilte Scholl-Latour den militärisch unerfahrenen US-Präsidenten. Da war Scholl-Latour wieder ganz der bekannte Nahost-Experte und scharfer Kritiker des deutschen Militäreinsatzes in Afghanistan. Es war dies einer der Augenblicke, in denen Scholl-Latour für seine deutlichen, klaren Worte gebührenden Applaus erhielt. Der begleitete ihn dann auch noch lange, als er kurze Zeit später die Bühne mit den Worten verließ: „Ich habe sie lange genug aufgehalten.“

Aufgehalten aber fühlte sich offenbar kaum jemand. Peter Scholl-Latour gab im Anschluss bereitwillig noch eine Signierstunde und wechselte dabei auch das eine oder andere Wort mit den zahlreichen Interessierten, deren Reihe lange Zeit endlos schien. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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