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Kultur: Der Magier

Am Wochenende lässt Peter Brook die verwirrende Welt von Samuel Beckett aufleuchten

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Was will es erreichen, das Theater? Den Menschen verändern? Peter Brooks Gesicht bleibt regungslos bei dieser Frage. Es folgt ein Moment der Stille, in dem der Blick aus den so klaren, so wachen Augen des 83-Jährigen nach innen zu gehen scheint. Dann sagt Brook, dass dies eine furchtbare und anmaßende Frage sei. Zum ersten Mal hebt sich ganz leicht seine sonst sanfte Stimme während des Gesprächs. Den Menschen verändern, das wollen Politik und Religion. Theater will zeigen und damit berühren. Peter Brooks linke Hand liegt auf seiner Brust, in seinem Gesicht Erstaunen, in seinem Blick ein freudiges Wundern, wenn er deutlich machen will, was er damit meint: Berühren. Dieser Moment, der nur für den Augenblick lebt, sich jeder späteren Analyse entzieht. Ein kleines Wunder, das so lange nachwirken kann. Das kann gutes Theater bewirken.

Es ist damit zu rechnen, dass dieser Augenblick auch am Wochenende bei Brooks Inszenierung von Samuel Becketts „Fragments“ zu erleben sein wird. Im Rahmen der diesjährigen Sommerbespielung in der Schiffbauergasse ist es den Mitarbeitern vom Trollwerk gelungen, mit Peter Brook eine Theaterlegende nach Potsdam zu holen. Heute und morgen lässt Brook seine drei Schauspieler die Beckett-Fragmente „Kommen und Gehen“, „Bruchstücke I“, „Rockaby“, „Akt ohne Worte“ und „Weder noch“ auf die Bühne in der Waschhaus-Arena bringen, in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Nach Aufführungen in Frankreich, England und Irland ist das Gastspiel mit Komödianten des britischen Théâtre de Complicité in Potsdam gleichzeitig auch Deutschlandpremiere.

Erst spät hat sich Brook dem irischen Dramatiker Samuel Beckett zugewandt. 1925 in London geboren, hat Brook seinen Ruf als Regisseur durch seine Shakespeare-Interpretationen und radikale Inszenierungen zeitgenössischer Bühnenstücke begründet. Die jüngste Inszenierung am Hans Otto Theater, Shakespeares „Sommernachtstraum“, zeigt viele Einflüsse des britischen Starregisseurs. 1971 gründete Brook in Paris ein Zentrum für internationale Theaterforschung, aus dem das Théâtre Les Bouffes du Nord hervorging, an dem Brook bis heute arbeitet.

Der eigenwillige Beckett also, der Brook schon früh beeinflusste, den er jedoch nicht inszenieren wollte, weil Becketts strenge Regieanweisungen ihm so wenig Freiheiten ließen. Doch Beckett, dieser Mann mit allen Talenten, wie Brook ihn schon früh nannte, dessen unnachahmliches Gespür für Bilder und Bewegungen, Sprache und Stille, hat ihn in den vergangenen Jahren viel beschäftigt. Was Shakespeare, später dann Tschechow im großen Umfang gelang, dieses Auf-den-Punkt-bringen der Zerrissenheit der menschlichen Existenz, diese Darstellung hat Beckett auf ein Minimum reduziert. Je intensiver Brook sich mit den Stücken Becketts beschäftigte, umso klarer wurde ihm, dass in diesem Wenigen ein Soviel liegt. Und dass Becketts Blick in die menschlichen Abgründe weniger hoffnungslos und pessimistisch sondern voller eigenwilligem Humor erfolgt. Brook hat erkannt, dass Beckett ihm als Regisseur durch die Reduzierung der Mittel und den strengen Anweisungen doch genug Freiheiten lässt, um seinen eigenen Beckett auf die Bühne zu bringen.

Drei Schauspieler, eine Bühne mit wenigen Requisiten und ein Spiel mit Licht und Schatten, das wird „Fragments“ sein. Brook spricht vom Reduzieren, bis nur noch ein Destillat übrig bleibt. „Wie ein ganz kleiner Kristall, in dem auf kleinsten Raum alles zusammengefasst ist und nach allen Seiten strahlt und sich spiegelt.“ Scheinbar minimalster Aufwand mit größter Wirkung

Peter Brook kommt noch einmal auf den Moment des Berührtseins zurück. „Es geht nicht darum zu sagen, ob es mir gefallen hat oder nicht. Es geht um die Frage, warum mich dieses Stück so berührt hat und dies nach der Aufführung mit sich nehmen und wirken lassen.“ Wenn dieses Nachwirken dann doch etwas beim Menschen verändert, und sei es noch so wenig, nimmt Peter Brook das gern in Kauf.

„Fragments“ heute um 20 Uhr und morgen um 16 Uhr in der Waschhaus-Arena, Schiffbauergasse. Karten kosten zwischen 17 und 29 Euro

Dirk Becker

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