Von Dirk Becker: Der Makel Verrat
Die typische Täterbiografie. Georg Brühl ist ein Mann, der seine IM-Tätigkeit auch nach Jahren nicht entschuldigen will, entschuldigen kann.
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Die typische Täterbiografie. Georg Brühl ist ein Mann, der seine IM-Tätigkeit auch nach Jahren nicht entschuldigen will, entschuldigen kann. Einer der gefangen ist in seinem Weltbild, in dem er sich als Opfer sieht. Dessen Einsicht vor allem darin besteht, dass seine Spitzeltätigkeit für die Staatssicherheit nur deshalb ans Licht kam, weil seine Akte doch nicht, wie versprochen, vernichtet wurde. Dieser Verrat hat sein verlogenes Leben zerstört. Darüber kann er klagen, und über den Westen, der sowieso nicht verstünde, wie es sei, in einer Diktatur zu leben. Aber über das, was Georg Brühl seinen Opfern angetan hat, verliert er kaum Worte. Er habe schließlich nur Informationen weitergegeben. Ins Gefängnis wurden sie von anderen gebracht. Und außerdem habe er an eine höhere Sache geglaubt, aus Idealismus gehandelt.
Es waren nur Ausschnitte, die Christhard Läpple am Mittwochabend in der Villa Quandt aus dem Kapitel über Georg Brühl las. Doch sie genügten, um diesen Unverbesserlichen zu verachten und immer wieder fassungslos den Kopf zu schütteln über so viel Unverfrorenheit in der Einschätzung dem eigenen Verhalten gegenüber. „Verrat verjährt nicht. Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land“ heißt das Buch, das der Fernsehjournalist Läpple in Potsdam vorstellte.
Als ein Nebenprodukt bezeichnete Läpple sein Buch. Für ein ZDF-Rechercheprojekt hatte sich Läpple mit Hunderten Fällen von Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi beschäftigt, die den westdeutschen Fernsehsender zu DDR-Zeiten unterwandert hatten. Läpple blickte in Abgründe, in denen vor allem Schweigen oder alte, ungebrochene Überzeugungen herrschten. Doch Läpple gab sich damit nicht zufrieden. Er wollte mehr als die Akten, das Schweigen oder die alten Überzeugungen. Läpple wollte Täter zum Reden bringen. Bei vier von über 100 gelang es ihm. Daneben lässt Christhard Läpple in „Verrat verjährt nicht“ zwei Opfer zu Wort kommen, die beide sieben Jahre im Gefängnis verbringen mussten.
In der Villa Quandt ließ Läpple nur zwei Täter, neben Georg Brühl auch die Spionin Anna Heß, reden. Der Autor Läpple fällt während der Beschreibung ihrer Lebenswege in „Verrat verjährt nicht“ kein Urteil, er bleibt auf Distanz mit seinem reportagehaften Ton. Denn die Abgründe, die sich bei den Gesprächen mit den Tätern, ihren Taten auftun, sprechen für sich. Es gehe ihm nicht darum, etwas zu entschuldigen oder gar zu verniedlichen, sagte Läpple. Er wolle verstehen und erklären. Und das gehe nur, wenn die Täter zu Wort kommen. Durch seine Recherchen zu diesem Thema, die von eingeschlagenen Fensterscheiben und telefonischen Morddrohungen begleitet wurden, sei er zu einer wichtigen Erkenntnis gekommen: Der Stasi sei es in all den Jahren gelungen, das Gewissen der Menschen zu verstaatlichen. Und auch wenn viele ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter ihre Bespitzelungen mit Idealismus und dem Glauben an eine höhere Sache erklärten, sei die wirkliche Begründung oft viel profaner. Dahinter stecke der Wunsch des Menschen, sich zu erhöhen und andere zu erniedrigen, zitierte Läpple den polnischen Schriftsteller Ryszard Kapuscinski.
Obwohl nur knapp 30 Zuhörer in die Villa Quandt gekommen waren, entspann sich schnell eine Diskussion, in der es vor allem um Kategorien wie Verständnis, Moral und Schuld ging. Läpple sagte, dass die Diskussionen zu diesem Thema in den vergangenen 20 Jahren leider nur verkürzt geführt wurden. Die Stasi, auf die sich der Fokus bis heute konzentriere, war nur Dienstleister der SED-Partei. Doch von deren Verantwortung rede heute kaum jemand.
Im Gegenteil: 20 Jahre nach der Wende scheint sich kaum noch jemand daran zu stoßen, dass ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit politische Karrieren machen und wohl bald die Geschicke im Land Brandenburg lenken. Aber Christhard Läpples Buch, das in Brandenburg zur Pflichtlektüre werden sollte, gibt etwas Trost. Auch wenn die Täter von damals ihre fadenscheinige Reue mit falschem Lächeln verkaufen oder die Standardformel krähen, sie hätten doch niemandem geschadet, die Schuld und der Verrat stecken in ihnen. Gewissen, so Läpple, ist immer individuell und jeder kann sich entscheiden. Und auch wenn diese Form von Verrat an Mitmenschen juristisch kaum oder nicht belangt werden kann, sie trifft die Seele der Betroffenen und kann daher nicht verjähren. Doch die wenigsten Täter wird das interessieren.
Christhard Läpple: Verrat verjährt nicht. Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, 349 Seiten, 19,95 Euro
Dirk Becker
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