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Kultur: Der Mann als Herrscher und Opfer „Corpus hominis“

bei Unidram

Stand:

Als die Zuschauer am Freitagabend das T-Werk-Theater betraten, saßen auf der Bühnenrampe drei italienische Männer. Sie schauten auf die Menschen, die da hereinströmten, als hätten sie so etwas noch nie gesehen. Die Scheinwerfer strahlten grell in den Zuschauerraum. Erst lief einer von ihnen weg, dann der zweite, dann der dritte. Und es ward dunkel. Stockdunkel. Dazu die Stille. Irgendwie unheimlich. Geräusche von Kleidern, die über Körper streifen, waren zu hören, danach jene von Bewegungen. Vielleicht Tanz? dachte man hoffnungsfroh in der Erwartung, dass nun die Leichtigkeit Einzug hielte, aber man blieb noch eine Weile im Dunkel, hörte den Geräuschen der Füße auf dem Bühnenfußboden zu und war unversehens mit sich selbst konfrontiert.

Das Stück „corpus hominis“ (Männliche Körper) in der Choreographie von Paola Bianchi begann mit einer Verstörung – und es sollte dieses Moment selbst beim manchmal grellen Licht weiter beibehalten. In der Performance arbeiteten sich die drei Tänzer, die Paolo Bianchi auch als Schauspieler bezeichnet, durch unterschiedliche Stadien des Körpers: Sie keuchten, schwitzten, zappelten, sie tanzten aufeinander zu in den leichteren Teilen, sie tanzten jeder für sich allein. Sie erstarrten in Posen, die die Männlichkeitsideale der Antike heraufbeschworen, Bilder von Olympioniken wechselten sich ab mit Werbeklischees und blitzartigen Sequenzen, in denen die Seele vom Körper losgelöst schien und die Herren da standen, als seien sie Teil einer Gunther Hagen-Leichenschau. Sie trennten ihre Körperteile quasi voneinander ab, indem sie Bauch-rein-, Brust-raus-Übungen vorstellten, sie robbten auf dem Boden wie durch Schützengräben. Sie waren stolze Männer, die die Kraft und Macht ihrer eigenen Herrlichkeit verstrahlten, als gälte es, die Welt durch Körperkraft zu besiegen – und sie waren einsame, kranke, zerfallende, verkaufte, gequälte Körper. Sie waren mit sich selbst spielende, onanierende Männer, und sie waren verfluchte, tyrannisierte Körper, die aus ihrer beigefarbenen, gewollt unattraktiven Unterhose eine Binde holten, sie in ihr Maul nahmen und sie aufrollten.

Die blöde Pose allerdings war nur der Übergang zur vollkommenen Willfährigkeit durch die anderen – Bilder von Abu Graib schossen dem Zuschauer durch den Kopf, als gegen Ende die Binde auch um die Augen, um das gesamte Gesicht gelegt wurde. Irgendwie nebelig war die Bühne dann, irgendwie entrückt diese um sich selbst trauernden Körper, die auch mal so stolz auf sich gewesen waren – noch Minuten vorher. Licht- und Musikregie taten ihr Übriges, um einen Verstörungstext in diese verwirrende Präsentation zu bringen: Fein ausgeleuchtet, konzentrierte sich die gesamte Aufmerksamkeit auf dieses Spiel der Leiber, auch bei flirrendem Licht war kein Entrinnen möglich. Die Musik zitierte schon mal fröhliche Diskomusik, aber auch das uns ständig umgebende kakophonische Konzert von Radio- und sonstigen Meldungen; Herztöne drangen fast in den eigenen Zuschauerkörper ein, der am Ende froh war, dass es ein Ende hatte.

Dieses Schauspiel hinterließ eine beklemmende Atmosphäre, eröffnete einen weiten Assoziationsreigen, der von Überlegungen zur männlichen Machtstruktur über die Enteignung des Körpers durch die Werbeindustrie bis hin zu Militär- und Kriegsgedanken ein volles Programm bot. Lore Bardens

Lore Bardens

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