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Von Dirk Becker: Der Mann, der nie lächelt
Teufel oder Messias? Thilo Sarrazin hat in Potsdam gelesen. Protokoll eines unbehaglichen Abends
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Nein, so sieht er nicht aus, der Leibhaftige, der Brandstifter, der Hexerich, als welcher Thilo Sarrazin in den vergangenen zwei Wochen landauf und landab von Politik, Fernsehen und Zeitungen dargestellt wurde. Er war ein charmanter Plauderer, ein freundlicher, aber bestimmter älterer Herr, ein Souverän in eigener Sache, äußerst sachlich, äußerst selbstsicher und äußerst emotionslos bei seinem Auftritt im Donnerstagabend im ausverkauften Nikolaisaal. Seine ersten Schritte auf der viel zu großen Bühne, auf der nur ein Rednerpult, zwei Stühle und zwei kleine Beistelltische standen, glichen dennoch fast schon dem Auftritt eines Messias. Zumindest was den Applaus betraf, mit dem Thilo Sarrazin beim Auftakt seiner bundesweiten Lesereise für sein umstrittenes Buch „Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen“ im Nikolaisaal begrüßt wurde.
Dieser Applaus überraschte in seiner Wucht und Heftigkeit. Ein entschlossener Willkommensgruß, durchsetzt von vereinzelten „Bravo“-Rufen, die wohl signalisieren sollten: „Thilo, Du sprichst uns aus den Herzen.“ Doch der so herzlich-heftig Begrüßte blieb auf Distanz. „Warum klatschen Sie“, fragte Sarrazin, als er an das Mikrofon trat, „Sie wissen doch noch gar nicht, was ich Ihnen erzählen werde.“ Und hatte die Lacher im Publikum auf seiner Seite. So war schon nach wenigen Minuten klar, dass Thilo Sarrazins Auftritt in Potsdam ein Heimspiel unter Wohlgesinnten werden würde.
In diesem Beitrag soll es nicht um eine Bewertung von Sarrazins Thesen in „Deutschland schafft sich ab“ gehen. Zu viele haben sich in den vergangenen zwei Wochen seit dem Erscheinen dieses über 400 Seiten umfassenden Sachbuches schon dazu geäußert. Haben sich eine Meinung gebildet, obwohl sie dieses Buch noch gar nicht haben lesen können. Haben Sarrazin verurteilt, beschimpft und verdammt. Seit zwei Wochen wird so eine Debatte geführt, die den Anschein von Seriosität vermitteln will, dabei aber oft nur moralisch und fadenscheinig, in den wenigsten Fällen jedenfalls das ist, was sie eigentlich sein sollte: sachlich.
Es soll auch nicht darum gehen, irgendein Verständnis für Sarrazins Analyse zu äußern. Denn auch das kann zu diesem Zeitpunkt nicht geleistet werden. Es soll um das Unbehagen gehen, das einen befällt, wenn man sich aufmacht, sich dieser, nennen wir es ruhig so: Groteske, mit Distanz und Unvoreingenommenheit zu nähern. Und um die Erkenntnis, dass zum jetzigen Zeitpunkt nur einer wirklich sicher über das damit verbundene spiegelglatte Parkett zu tanzen versteht. Dieser eine ist Thilo Sarrazin.
An diesem Abend präsentiert sich der 65-Jährige als Mensch der Zahlen. Ein kühler Analytiker von Statistiken, der, selbst wenn er ein paar Anekdoten aus seinem Privatleben zum Besten gibt, Distanz wahrt. Einer, auch so viel wurde an diesem Abend klar, der versucht, alle Fäden in seinen Händen zu halten.
Moderator Ralf Schuler näherte sich seinem Gegenüber mit Respekt. Begann erst im Plauderton den Privatmenschen Sarrazin vorzustellen um dann, mit Humor, aber auch entsprechendem Nachdruck, bestimmte Begrifflichkeiten und deren Verwendung in „Deutschland schafft sich ab“ zu kritisieren. Allzu weit wagte sich Schuler aber nicht vor. Was hier nicht als Kritik verstanden werden soll. Ralf Schuler gab nicht den Journalisten, der mit allen Mitteln versuchen muss, an Sarrazin einen Exorzismus zu zelebrieren. Hier suchte einer das Gespräch auf der Basis, die sein Wissensstand zu und seine Auseinandersetzung mit Sarrazins Buch ihm zu diesem Zeitpunkt gaben. Und allzu kritisches oder gar streitsüchtiges Nachfragen hätte wohl auch das Publikum nicht geduldet.
Das war neben regelmäßigen Applausausbrüchen vor allem darum bemüht, dass ihrem Thilo Sarrazin im Nikolaisaal kein weiteres Unbill geschehe. Krakeeler, die ihn als Rassisten, Nazi und Faschisten beschimpften, gab es schon genug draußen vor der Tür. Und so verwunderte es auch kaum, dass die erste Frage aus dem Publikum lautet: „Herr Sarrazin, wann gründen Sie endlich die Partei der aufrechten Deutschen?“
Dieses „Deutschen“ kam mit einer Schneidigkeit, Lautstärke und Kantigkeit daher, dass es einen förmlich wie ein Pistolenschuss traf. Und wen nicht schon bei diesem gebellten „Deutschen“ das große Unbehagen überkam, den muss es spätestens bei dem heftigen Applaus, der dieser Frage folgte, gepackt haben. Sarrazin selbst nahm derartige Ausbrüche mit dem unbewegten und undurchschaubaren Gesichtsausdruck hin, der für ihn so typisch scheint. In seinen Antworten blieb er immer souverän, antwortete in diesem Fall, dass er ein aufrechter Deutscher in der Sozialdemokratischen Partei sei. Der Applaus, der nun folgte, war eindeutig schwächer. Und als ein junger Besucher fragte, ob Sarrazin nicht wüsste, dass er mit manchen seiner provokanten Formulierungen den Gruppen am rechten Rand der Gesellschaft zuspiele und ein ungehaltenes Murren durch das Publikum ging, das diesen jungen Mann am liebsten zum Schweigen gebracht hätte, war es Sarrazin selbst, der sagte, dass diese Frage berechtigt sei. Aber auch der Beifall von der falschen Seite dürfe einen nicht davon abhalten, das Richtige zu denken oder zu sagen, so Sarrazin.
Ja, auch wenn sie wie beiläufig kamen, diese Antworten von Thilo Sarrazin, spürte man schnell, dass hier einer sprach, der auf jedes Wort zu achten schien, immer die Kontrolle behielt. Und immer wieder stellte man sich die Frage, ob da wirklich nur einer seinem Selbstbild vom selbstlosen Mahner und Rufer für sein so geliebtes Deutschland entsprach oder ob dieser Sarrazin doch nur der Wolf im Schafspelz ist, der zusätzlich auch noch einen Eimer Kreide gefressen hat?
Diese Frage nahm man nach knapp zwei Stunden mit nach Hause. Genauso wie die Erkenntnis, dass wohl ein Großteil derer, die im Saal so jubelten und applaudierten, nur das aus Sarrazins Streitschrift herauslesen, was ihrer Meinung entspricht. Genauso wie wohl ein Großteil der Protestierer vor dem Nikolaisaal nur das herausliest, was ihnen als Munition dient.
Wer nur ein paar Minuten nach Ende der Veranstaltung in diesem Pfeifkonzert auf der Wilhelm-Staab-Straße stand, den muss wieder dieses Unbehagen wie kurz zuvor im Saal überkommen haben. Wie hier die Besucher der Buchvorstellung als „Nazis“, „Faschisten“ oder gar „Schweine“ beschimpft wurden, wie hier „Wer Sarrazin applaudiert, ist 33 mitmarschiert“ skandiert und welche Wut und regelrechter Geifer dabei freigesetzt wurde, das hatte etwas Erschreckendes.
Und Sarrazin selbst? Der tat das, was man selbst wenige Tage zuvor noch scherzhaft im Gespräch von sich gab, weil man nicht glaubte, dass es das Bedürfnis danach geben könnte. Thilo Sarrazin signierte sein Buch. Ein freundlicher aber bestimmter, älterer Herr, dem hier gehuldigt wurde. Aber auch das perlte scheinbar an ihm ab. Denn Sarrazin weiß sehr wohl, dass sich bisher kaum jemand, ob Freund, ob Feind, so intensiv mit „Deutschland schafft sich ab“ beschäftigt haben kann, dass eine wirkliche Diskussion auf Augenhöhe möglich ist. Aber, wie Sarrazin an diesem Abend in Potsdam mehrmals betonte: Er wünscht diese sachliche Auseinandersetzung. Dafür habe er sich auch für den Rücktritt aus dem Bundesbank-Vorstand entschieden.
„Ich lade alle ein, Unstimmigkeiten in meiner Analyse zu finden“, sagte Sarrazin. Er sagte das mit der Sicherheit des Analytikers, der seine zitierten Zahlen genauestens kennt. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu, dass dies sicher kein leichtes Unterfangen sei. Und es schien, als würde Thilo Sarrazin, der Mann, den man nie lächeln sieht, sich wirklich zu freuen.
Dirk Becker
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