zum Hauptinhalt

Kultur: Der Mann mit der Fliege

„zuckersüß und gallebitter. Brandenburgische Geschichte und Gegenwart“ von Hartmut Schatte

Stand:

„Leite froagen - Leite reden“ scheint der Wahlspruch des Hobbyforschers und Heimatgeschichtlers Hartmut Schatte zu sein. Am Dialekt erkennt man seine vielmals versicherte Herkunft. Gleichwohl 1945 „kriegsbedingt“ in Leipzig geboren, schlägt sein umtriebiges Herz für die Gegend zwischen Cottbus und Forst, Muskau und Peitz. Von 1990 bis 2006 war er Leiter der Fachschule für Sozialwesen in Cottbus, ein Pädagoge also mit dem Markenzeichen „Fliege“, woran er zu passender Gelegenheit, heimatgeschichtliche Fachtagungen oder offizielle Anlässe, leicht zu identifizieren ist. Wo immer er auftaucht, fragt er die Leute hemmungslos aus.

Daraus erwuchs nun (neben hundert anderen Publikationen) sein fünftes Buch größeren Ausmaßes über die Vergangenheit und Gegenwart der Niederlausitz. „zuckersüß und gallebitter. Brandenburgische Geschichte und Gegenwart“ erzählt auf sehr persönliche Weise von seinen abenteuerlichen Erkundungstouren per Auto, mit dem „umweltschonenden“ Fahrrad oder per pedes. Stets an seiner Seite die Ehefrau, liebevoll „mein Edelfräulein, meine feste oder auch Warteschlange“ genannt, weil sie so oft warten muss.

Leicht zu erkennen, wie sich die vierzehn Kapitel um einen flockig-feuilletonistischen Stil bemühen. Nicht immer gelingt das, manche wirken eher „flapsig“. Dafür strebt Hartmut Schatte, wie alle seiner Profession, historische Genauigkeit an. Mit Herzblut an der Erhaltung alles Gewesenen interessiert, wozu das Immobile genauso gehört wie bekannte oder unbekannte Namen, weiß er seinen Texten stets die unmittelbare Gegenwart beizugeben: auf Erwin Strittmatters Anwesen in Bohnsdorf, im durch Vattenfall gefallenen Ort Lakoma oder bei der einstigen Komturei Lietzen, Ordensburg der Templer!

Sein Spezialgebiet ist die Genealogie. Wo immer er einen guten alten Namen findet – von der Schulenburg (schulen heißt verstecken“) oder Brühl, Pückler oder die Normanns, Cosel oder Carolath-Schönaich, Malte oder Sarrasani – verknüpft er ihn sofort mit Geschichte und Schnurren, bis ein „Netzwerk“ entsteht, dessen regionale Ausbreitung von Schlesien bis nach Putbus reichen kann, während er die Ahnenfolge bis zur Gegenwart führt. Wie man dies aufschreibt, hat er vielleicht bei Fontane gelernt.

Blaues Blut ringt dem Cottbuser heute noch allen Respekt ab. Aber auch Bäcker (einer ist noch heute Lieferant der Pückler-Erben), Pfarrer, Künstler und Umweltaktivisten zählen zu seinen Quellen. Einmal gar, als er den rasengießenden Gärtner nach dem Besitzer des Lietzener Anwesens fragte, antwortete dieser „Na mir!“ Vor ihm stand Gebhard Graf von Hardenberg persönlich. Fragen hilft fast immer im „vom Menschen gestalteten Koloss Zeit“, fragt, solang“ es noch geht!

Man kann das gelegentliche Grollen seiner ersten Liebe ja verstehen. Für den Mann mit der Fliege führt schließlich jeder Familienausflug in die Vergangenheit, welche er schätzt und bewahrt wissen will, Stein um Stein. Sie ist immer dabei, wenn´s durch die „lila Heede“ geht, wo ein Zweig der Münchhausens wohnt und nun wieder Wein angebaut wird. Dieser dürren Gegend, „gottverlassenes Land“ oder „Karnickelsand“ genannt, gilt seine zweite Liebe: dem „flachen Landadel“, Schlössern und Herrensitze, Burgen und Dörfern.

Aber auch Zeitgenossen wie dem Ex-Radsportler Lothar Thoms oder einer Begegnung auf offener Straße, beim froagen. Überträgt sich solche Liebe auf den Leser, so ist aus diesem Buch-Feuilleton viel Nutzen zu ziehen, mehr süß als gallebitter! Gerold Paul

Hartmut Schatte, „zuckersüß und gallebitter“, Westkreuz Verlag 2007

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })