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Kultur: Der Mann mit der Ledertasche Jan Garbareks Musikwelt im Nikolaisaal

Ein Bild, das bleibt: Der ältere Herr steht auf der Bühne des Nikolaisaals, groß und hager, schwarz gekleidet, das graue, halblange Haar nach hinten gekämmt. Vor ihm ballt sich der Applaus.

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Ein Bild, das bleibt: Der ältere Herr steht auf der Bühne des Nikolaisaals, groß und hager, schwarz gekleidet, das graue, halblange Haar nach hinten gekämmt. Vor ihm ballt sich der Applaus. Sein Lächeln ist nur Andeutung, kurz nur seine Verbeugung. Er hat aufgehört zu spielen, die sicheren Grenzen seiner musikalischen Welt verlassen und nimmt Abschied. Sein Werkzeug, das Saxophon, hat er in eine altmodische Ledertasche gesteckt, das Mundstück ragt heraus. Er hält die Tasche in der rechten Hand und es scheint, als würde er nur auf den Moment warten, die Bühne verlassen zu können, um zum nächsten Konzert zu ziehen. Jan Garbarek, ein Handelsreisender in Sachen Jazz.

Vor zwei Stunden hat der 59-jährige Garbarek die Bühne betreten, die Ledertasche mit dem Saxophon in der Hand. Und am Applaus, mit dem er am Freitagabend im ausverkauften Nikolaisaal begrüßt wird, lässt keinen Zweifel: Garbarek hat noch keinen Ton gespielt, aber schon gewonnen.

Der Norweger Jan Garbarek gehört zu den Musikern, deren Erscheinen genügt, um die Leute in Begeisterung zu versetzen. Sein musikalischer Übervater ist Coltrane, er hat mit dem Pianisten Keith Jarrett und dem Bassisten Charlie Haden gearbeitet. Zusammen mit Bobo Stenson, der im vergangenen Jahr im Foyer des Nikolaisaals sein fast schon kaligraphisches Klavierspiel zeigte, gehörte er in den 70ern zu den prägendsten Figuren der europäischen Jazzszene. Jan Garbarek, viele kennen mittlerweile seinen Namen, ohne seine Musik gehört zu haben.

Mit „Trollysn“ beginnt das Konzert. Rainer Brüninghaus legt eine sphärische Grundierung mit dem Keyboard, über die Garbarek eine kleine, orientalische Melodie tanzen lässt. Aus den feinen Skizzenstrichen werden kräftige Farbtupfer, in die Bassist Eberhard Weber seine Töne mischt und in die der Schlagzeuger Manu Katché immer wieder Unruhe bringt. So entstehen längst aus der Mode gekommene Klanggemälde, selten überschaubar, oft ausufernd, sich verwerfend und neu wieder ordnend. Aus der anfänglichen, orientalischen Melodie wird irische Ausgelassenheit, die sich irgendwann auf dem Balkan wiederfindet. Das Programm mit den Titelangaben hilft nicht mehr weiter, denn nur selten unterbrechen Garbarek und seine Musiker die Stücke. Sie lassen die Klangfarben immer wieder aufs neue ineinander fließen, so dass es scheinbar keinen Anfang und auch kein Ende gibt.

Garbarek lässt so seinen eigenen Kosmos entstehen. Am Anfang eine kleine Melodie, eine musikalische Beiläufigkeit, die manchmal so eingängig klingt, dass sie Gefahr läuft, langweilig genannt zu werden. Dann folgen die anderen Musiker, beginnt das wilde Treiben, das Jagen in der Improvisation, gedankenverlorenes Ausschmücken und allerlei Spielereien. Dabei fällt es nicht immer leicht, all dem zu folgen, wirken die lang gezogenen Zwiegespräche und das wilde Durcheinander oft wie ein scheinbar endloses Um-Sich-Selbst-Kreisen. Doch immer wieder greift Garbarek die musikalischen Fäden auf, die lose in den Stücken hängen und hilft einem zurück auf die Wege, die durch seine musikalische Welt führen. Nach zwei Stunden eines reizüberfluteten Marsches durch diese Welt spürt man zwar leichte Erschöpfung, doch fast alle zeigen sich ausgelassen dankbar für diese Reise.

Dirk Becker

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