Kultur: Der Morgen ließ sich davon nicht schrecken
Schöner liegen in der Bildergalerie Sanssouci, ein verstimmter Sonnenaufgang im Neuen Garten und ein versöhnlicher Abschluss im Marmorpalais
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Die Dame schaut etwas pikiert, zumindest wirkt das so aus der Horizontalen. Und obwohl ihr Blick seit etwa 400 Jahren unverändert ist, hätte sie jetzt Grund genug, das Treiben zu ihren Füßen zu missbilligen. Denn das hat es schließlich noch nie gegeben, dass sich die Besucher der Bildergalerie Sanssouci auf den Boden legen und das auch noch in tiefster Nacht. Möglich machten dies die Musikfestspiele Sanssouci, die am Wochenende zur „Nacht der Antike“ in die Bildergalerie von Friedrich II. eingeladen hatten.
Anfangs scheut man sich noch, es sich auf den bereit gelegten Matten bequem zu machen. Denn die Bildergalerie mit all ihrem Prunk und den bedeutungsschwangeren Bildthemen besitzt ja eine Respekt einflößende Aura. Doch als der Italiener Marco Beasley am frühen Sonntagmorgen seine Stimme zur „Mitternachtsgeschichte“ erhebt, lässt man sich endlich nieder. Erst noch sitzend, nach kurzer Zeit aber schon liegend. Während Beasley mit seiner klaren und natürlichen, so kraftvollen wie sanften Stimme italienische Volks- und Kirchenlieder singt und darum eine Geschichte von der Nacht und ihren Schatten, vom Meer und seinen Legenden, von der Sonne und von der Hände Arbeit spinnt, wirkt selbst das Bildnis einer Dame aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ausgesöhnt. Später, als die vier Sängerinnen von VocaMe um den Instrumentalisten Michael Popp für 30 Minuten die Bildergalerie in einen sakralen Raum verwandeln, Popp auf Oud, Dilruba und Fidel tiefe und sehnsuchtsvolle Momente schafft, genügt ein Blick in das Gesicht der Kustodin Saskia Hüneke, die diese „Nacht der Antike“ mit einer Führung eröffnet hatte, um zu erkennen, welch seltener Glücksmoment hier gerade zu erleben ist.
Von 2 Uhr an heißt es dann: „Silentium“. Stille also bis auf die Schritte der Umhergehenden und leise Gespräche. Mancher nutzt die Ruhe für ein Schläfchen auf den Matten. Und man fragt sich, was wohl der Preußenkönig zu derartigen Anwandlungen des Pöbels gesagt hätte. Toleranz gezeigt? Wohl eher nicht. Wahrscheinlich hätte er alle Anwesenden durch die Bank weg ausgiebig züchtigen lassen.
Was für eine Nacht in der Bildergalerie! Und was hätte das für ein Morgen beim Sonnenaufgang am Marmorpalais werden können! „Schöner kann ein Sonntag nicht beginnen“ hatten die Veranstalter versprochen. Nun ja, die Natur zumindest war auf ihrer Seite. Wie sich da aus der Dämmerung der See schält und die Natur sich langsam regt, wie wildes Wolkenspiel den Himmel freigibt und die Sonne feurig-farbtastend den Tag weckt, das war einfach betörend und einfach schön. Doch als musikalische Untermalung gab es „La perfezione di uno spirito sottile“ des zeitgenössischen Komponisten Salvatore Sciarrione. Neue Musik also, 45 Minuten lang. Im Begleittext zu Komponist und Werk ist zu lesen von „tellurischem Chaos als Hintergrund“, gefallenen Göttern, mystischer Einsamkeit, Verlust der menschlichen Dimensionen, von aufsteigenden und klingenden Drachen, von Feuersbrünsten. Zu hören sind der Flötist Erik Drescher und die Sängerin Katia Guedes. Dreschers Instrument klingt, als hätte er sich erst kürzlich damit prügeln müssen oder er selbst hatte die ganze Nacht durchgezecht. Ein paar beschränkte Tonfolgen, bloß keine Melodie, dazu die für die Neue Musik üblichen Pfeif-, Schnarch- und Grunzgeräusche, viele Pausen und gelegentlich derart spitze Töne, dass es den Zuhörern durch Mark und Beine fährt. Verstörte Gesichter bei den Frühaufstehern, viel Kopfschütteln, manche können sich nur schwer das Lachen verkneifen. Mit den atonalen Gesangseinlagen von Katia Guedes wird das Ganze auch nicht besser. Nichts gegen Neue Musik, aber was hier geboten wird, zeigt mal wieder nur deutlich das Dilemma dieser Richtung auf: Verkopft bis dorthinaus und scheinbar nur darauf ausgerichtet, den braven Zuhörer zu malträtieren. Als dann aufgeschrecktes Federvieh verstört durch die Szenerie flattert und im Publikum für ein paar Lacher sorgt, stellt sich für einen kurzen Moment das Gefühl ein, dass dieses Naturschauspiel einem dann doch nicht komplett vergällt werden kann. Danach schnell die Flucht angetreten, denn der Appetit auf das „Antikenfrühstück in der Orangerie“ ist dahin. Aber, so wird einem später zugetragen, das soll ganz gut gewesen sein.
Am Sonntag Nachmittag dann Versöhnung vor Ort mit dem Konzert des französischen Cembalisten Pierre Hantaï im Marmorpalais. Gerade hat er im ausverkauften Saal Johann Sebastian Bachs Suite in a-Moll (BWV 807) gespielt. Temperamentvoll und virtuos, dabei mit einer gewissen Noblesse entfaltet Hantaï mit einer Leichtigkeit diesen kaum zu erfassenden Kosmos, den Bach hier offenbart. Sehnig-flirrend der Klang seines Instruments, dessen Potenzial Hantaï hervorragend auszuschöpfen versteht. Und auf diesen Aufstieg in andere Gefilde folgt die sanfte Erdung mit François Couperins „Le Carillon de Cythère“. Diese feine, kinderliedhafte Melodie wirft Hantaï mit einer Eleganz und Selbstverständlichkeit in den Raum, dass es danach im Grunde nicht mehr gebraucht hätte.
Mit Couperin hat Pierre Hantaï sein Programm „Die siegreiche Muse. Antike Mythen auf dem Cembalo“ begonnen, und Couperin räumt er auch den größten Platz ein. Hinreißend der Wechsel zwischen tänzerisch-ausgelassenen Kompositionen wie „L’Evaporée“ und Melodisch-Einfachem, Raffiniert-Schönem wie „Le Dodo ou l’Amour au berceau“. Das alles mit einer Technik und einer überwältigenden Musikalität, dass man das Gefühl hatte, an diesem Nachmittag ging gleich mehrmals die Sonne in prachtvollster Schönheit und entsprechender Untermalung auf.
Dirk Becker
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