
© HOT/Donnie Kreutz
"DNA" vom HOT-Jugendclub: Der Motor ist die Angst
Der HOT-Jugendclub bringt das Stück "DNA" über Täter, Opfer und Gewalt auf die Bühne. Am Dienstag ist Premiere.
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Bonobos sind dem Menschen genetisch am nächsten, nicht etwa Schimpansen, wie man lange glaubte. Allerdings sind die Schimpansen eher von den Menschen entdeckt worden. Der Unterschied zwischen den Affenarten ist jedoch der, dass Schimpansen sich aggressiv und sadistisch verhalten, Bonobos Konflikte jedoch mit Zuneigung lösen – ein kleiner Unterschied in der DNA. Hätte die Menschheit die Bonobos zuerst entdeckt, so die Logik einer Figur des Stückes „DNA“, dann hätte sie eine ganz andere Auffassung von sich selbst.
Das Theaterstück des britischen Autors Dennis Kelly, der nach „Waisen“ und „Die Opferung des Gorge Mastromas“ zum dritten Mal im Hans Otto Theater (HOT) inszeniert wird, lag schon etwas länger in der Schublade. Jetzt bringt es der HOT-Jugendclub auf die Bühne, am heutigen Dienstag ist Premiere. Eine Geschichte über Täter und Opfer, über Hierarchien und Gewalt – aber auch über Positionierung und Gewissen.
Jetzt ist Adam tot
Adam wollte einfach nur zur Gruppe gehören, die vom Anführer John Tate mit harter Hand kontrolliert wird. Doch so einfach, ohne Demütigungen, kommt man da nicht hinein: Er musste erst dreckige Blätter fressen, dann Zigaretten auf seinem Körper ausdrücken lassen. Als er über einen Abgrund balanciert, hagelt es Steine auf ihn. Nur aus Spaß. Und alle haben gelacht. Jetzt ist Adam tot: „Wir sind im Arsch“, sagt einer aus der Gruppe.
Es muss nämlich ein Täter her: Da Anführer John (Rokhaya Niang) nicht mit noch mehr Gewalt reagieren kann, übernimmt Phil (Hauke Petersen) die Vertuschung der Tat. Dazu schmiedet er einen perfiden Plan, der einem imaginären Täter die Tat anlastet – Hauptsache jemand anderes. Eine DNA-Spur wird gelegt, Fußabdrücke verteilt. Doch der Plan ist zu gut – es gibt nämlich wirklich jemanden in der Polizei-Datei, auf den die DNA passt, und der auch – natürlich unschuldig – verhaftet wird. In der Gruppe beginnt das Gewissen zu rumoren – und wo ist eigentlich Adams Leiche? Ganz viel im Stück bleibt auch vage: Wer war bei der Tat dabei – und wer verhält sich nur so, weil er zur Gruppe gehören möchte? Die Handlung findet ja in einer Extremsituation statt, da können auch kleine Auslöser zur Eskalation führen.
Nicht nur Opfer und Täter
Die Konstruktion des Stückes ist zyklisch, die Figuren tauchen immer wieder auf: Diese zyklische Erzählweise ist nicht nur praktisch, sondern soll auch auf das Unterbewusstsein wirken. „Das ist nicht schwarz-weiß, es geht nicht nur um Täter oder Opfer“, sagt Regisseurin Manuela Gerlach. „Die Dynamik in der Gruppe ist unglaublich interessant.“ Immerhin werfe das Stück viel mehr Fragen auf, je mehr man sich damit beschäftigt – und die Darsteller haben sich sehr intensiv damit auseinandergesetzt. Wo sind die Ursachen? Warum geben sie nicht einfach auf? Woher kommt diese Dynamik? „Der Motor ist die Angst“, sagt die Regisseurin. Die Angst voreinander, vor der Hierarchie. „Diese große Hierarchie bestand ja schon vor der Tat“, sagt Regieassistentin Sophia Schützler. Und immer dränge sich die Frage auf: Passiert es, weil es passieren muss – oder sind wir selbst verantwortlich? Wer Gewalt erfährt, übt später auch oft Gewalt aus, sagt die Statistik. Aber kann man alles auf erlebte Gewalterfahrung reduzieren? Nein: „Schlechte Kindheit“ ist als Erklärungsmuster zu mager.
Einfach sei es natürlich nicht, ein Stück für eine Jugendclub-Produktion zu entwickeln. Deshalb sind die Stücke meist selbst geschrieben, weil sich da eine Rolle auf den Leib schneidern lasse. Aber in eine fertige Rolle zu schlüpfen, das habe auch seinen Reiz, sagt Manuela Gerlach: Allerdings tragen oft einzelne Hauptdarsteller die Last der Stücke. „DNA“ ist da ein Glücksgriff, weil es eigentlich keine Nebenrollen gibt – und es wurde gleich begeistert aufgenommen, auch weil die Sprache so direkt ist. Viel Arbeit steckt trotzdem darin, zumal die Darsteller im Alter von 15 bis 19 Jahren in den letzten Monaten nur abends oder am Wochenende proben konnten.
Besonders moralisch findet Autor Dennis Kelly sein Stück jedenfalls nicht: Die einzige Moral sei die Frage, ob es richtig sei, die Mehrheit auf Kosten des Einzelnen zu schützen. Eine Antwort darauf könne und wolle er jedoch nicht geben, auch wenn er vielleicht ein Gefühl habe, das einer Antwort nahekommen könnte. Aber Antworten muss sich der Zuschauer selbst geben, sonst funktioniert Theater nicht.
„DNA“ von Dennis Kelly, Premiere am Dienstag, 23. Juni, 19.30 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse. Die nächste Vorstellung ist am Mittwoch, dem 24. Juni, um 19.30 Uhr
Oliver Dietrich
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