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Kultur: Der neue Blick

Kesting-Fotos im Vortrag bei „Auslöser Potsdam“

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Forschend ist der Blick des Künstlers, der sich im Selbstporträt fotografiert, und dabei durch ein Objektiv schaut, das sein linkes Auge schärfer zeichnet. Seine grauen Haare sind zurückgekämmt, er macht den Eindruck eines ernsthaft Forschenden, der auf der Suche nach dem neuen, dem anderen Blick ist. Der Abgebildete und Fotokünstler ist Edmund Kesting, der dieses Foto seinem Band von1958 „Ein Maler sieht durchs Objektiv“ programmatisch voranstellte.

Die Fotoausstellung „Auslöser Potsdam“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte löst angeregte Diskussionen bei den Besuchern aus, aber auch durch die begleitenden Vorträge so manch neue Erkenntnis. Heinz Schönemann, Kunsthistoriker und bis 1998 stellvertretender Direktor bei Schlösser und Gärten, kannte Edmund Kesting nicht nur durch dessen Werk, sondern auch, weil er in Ahrenshoop häufig im Nachbarhaus Urlaub machen konnte. Das müssen schöne Zeiten gewesen sein, und Schönemanns Stimme wurde ganz leise, als er am Ende des Vortrages seine Bewunderung für den Künstler ausdrückte: Das war es eben, sagte er, Kesting hatte auch nicht mehr oder anderes Material zur Verfügung als die anderen, aber er machte mehr daraus.

Dazu hatte Schönemann Anschauungsmaterial mitgebracht, er zeigte die berühmten Doppelbelichtungen und grafisch bearbeiteten Fotografien, denn „Kesting war immer Maler, auch als Fotograf“. Kesting, 1892 geboren, hatte in Dresden schon früh Zugang zur Avantgarde, die „Brücke“ war ihm aber nur Anregung, nicht Vorbild. Er gründete 1919 die Kunstschule „der Weg“, um „den Weg zur Kunst“ zu suchen, wie er sagte. Im Dritten Reich erhielt er Mal- und Ausstellungsverbot, konnte jedoch weiter fotografieren. 1946 wurde er an die Akademie in Dresden berufen, und durch Lea Grundig dann regelrecht gemobbt. Heinz Schönemann konnte seine Empörung nicht verbergen, als er von der einflussreichen Dame sprach, die „drei mal länger als Sitte Verbandspräsidentin war“, aber der niemand Übles nachredet. Sie hat offensichtlich dafür gesorgt, dass Kesting die Stelle verlor, er kam dann an die Kunsthochschule Weißensee. Im Rahmen der Formalismus-Debatte verlor er auch diesen Job.

1955 schließlich wurde der Maler, Grafiker und Fotograf an die Hochschule für Film und Fernsehen nach Babelsberg berufen. Hier hat er wesentlichen Einfluss auf die Kameraausbildung genommen. Kesting experimentierte nach dem Motto „Bildkunst ist Bewusstseinsäußerung“, und seine Fotos zeugen auch heute noch von einem ambitionierten künstlerischen Willen. Von seiner Fotomontage „Vierauge“ aus dem Jahr 1957 schauen vier Augen, zwei Nasen, zwei Münder und man denkt unweigerlich an Picasso.

Seine Doppelbelichtungen wurden berühmt. Da gibt es Porträtaufnahmen, in denen einmal das Gesicht frontal und dahinter als Schatten das größer wirkende Profil zu sehen sind. Sein „Kopf mit großem Auge“ lehrt das Fürchten, denn da ist in ein Profil ein Riesenauge hineinmontiert, das den Betrachter fest in seinen Blick zu verklammern in der Lage scheint. Zu wenig bekannt ist auch die Totentanz-Serie, die Kesting 1945 in Dresden machte. Da tanzen zwei Gerippe über den Trümmern der Stadt oder, in einem fast visionär erscheinenden Foto, ist die nächtlich angestrahlte, noch komplette Frauenkirche über den Geröllhalden zu sehen, als mahne sie da schon ihren Wiederaufbau an. Alle Fotos, auch die Werbefotografien Kestings sind Sehschulen. Sie zeigen eine Wirklichkeit, die nicht platt abgebildet ist, sie lehren das erweiterte Sehen. Die Auseinandersetzung mit dem Werk des 1970 verstorbenen Künstlers lohnt sich auch heute noch. Lore Bardens

Lore Bardens

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