Kultur: Der Panzer ist aufgebrochen
Noch-Student und HOT-Neuling: Hannes Wegener ist der Tempelherr in „Nathan der Weise“
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Er scheint ein Gewinnertyp zu sein, aber auch einer, der sich durchzubeißen versteht. Hannes Wegener steckt noch mitten im Studium, hat aber schon seinen ersten Vertrag in der Tasche und eine tragende Rolle zu spielen: bei der Eröffnung des neuen Theaters. Er kann dabei mit seinem Heimvorteil punkten, aber schon jetzt plagen ihn auch Alpträume, in denen ihm der Text nicht mehr einfällt, er nicht rechtzeitig zur Aufführung kommt.
Doch mit Sicherheit wird er pünktlich am 23. September um 19 Uhr auf der Bühne am Tiefen See stehen, und als Tempelherr in dem Lessing-Stück „Nathan der Weise“ aufgehen. „Das ist die Rolle mit dem meisten Text“, sagt er und schlürft dabei eher stolz als ängstlich seinen Cappuccino. Natürlich sei er anfangs sehr aufgeregt gewesen, mit seinen noch geringen Erfahrungen in eine so gestandene Truppe zu kommen. „Aber ich bin der einzige in Potsdam geborene Kollege des Schauspielensembles, der jetzt die Möglichkeit hat, im Theaterhaus, das 60 Jahre auf sich warten ließ, anzukommen. Das ist schon ein großer Reiz.“
Er sei nicht nur mit fliehenden Fahnen in das Engagement gegangen, so der 26-Jährige ganz offenherzig. Schließlich seien seine kulturbeflissenen Eltern Jeanette Niebelschütz und Michael Wegener mit dem Intendanten gut bekannt, und das müsse der Arbeit nicht unbedingt zum Vorteil gereichen. Jedenfalls schlug er den angebotenen Zwei-Jahres-Vertrag aus und man einigte sich erst einmal auf ein einjähriges Ausprobieren.
Das Angebot kam für den HFF–Studenten völlig überraschend. „Wir hatten im zurückliegenden dritten Studienjahr ein Vorspiel, und dazu fanden sich auch zwei Leitungsmitglieder des Hans Otto Theaters ein. Irgendwie muss ich sie mit meinem Richard III. und Macbeth überzeugt haben. Jedenfalls kam dann am Anfang der Semesterferien die Einladung, auch dem Intendanten vorzuspielen. Ich war natürlich sehr stolz, ging es aber mit Gelassenheit an. Eigentlich war es ja noch gar nicht an der Zeit, sich verkaufen zu müssen.“ Vielleicht war es gerade diese Lockerheit, die überzeugte. Uwe Eric Laufenberg bot ihm jedenfalls gleich an Ort und Stelle die nach dem Ausscheiden von Johannes Suhm frei gewordene Schauspielposition an.
Es ist die zweite Potsdamer Bühne, die Hannes Wegener jetzt kennen lernt. Als Neunjähriger trat er bereits im damaligen Pionierhaus auf. Und auch bei der DEFA hatte man offensichtlich an den Jungen mit den großen braunen Augen Gefallen gefunden. Mit Elf spielte er eine größere Nebenrolle in Andreas Kleinerts Film „Verlorene Landschaft“ und ein Jahr später bekam er die Hauptrolle in der Serie „Geheim – oder was?!“. „60 Tage war ich für den Olli freigestellt. Das war richtiges Malochen, viel anstrengender als Schule. Aber auch toll. Hinterher fiel es mir aber schwer, wieder den alten Draht zu den Kumpels zu finden.“ Der Reiz des Drehens relativierte sich dadurch. Erst im Leistungskurs Darstellendes Spiel am Espengrund Gymnasium brach wieder die alte Leidenschaft aus. „Ich spürte, nichts packt mich so wie die Schauspielerei, lässt mich so aufblühen.“
Nach dem Abi ging er dann als Zivildienstleistender nach Israel, gärtnerte, lernte Englisch und Hebräisch und schauspielerte weiter. In Haifa fand er Anschluss an eine englischsprachige Theatergruppe. „Ich war der einzige Nicht-Jude.“ Während seiner „Nathan“-Proben kehren die Gedanken des öfteren nach Israel zurück.
Schon während seines dortigen Aufenthalts bewarb er sich an der Schauspielschule „Ernst Busch“ Berlin, doch die Zeit, sich nach der ersten, gut überstandenen Runde auf das Vorspiel vorzubereiten, war zu knapp. „Was soll in zwei Tagen rauskommen. Ich bin ja noch klein“, sagt er durchaus ernst.
Auch bei der Aufnahmeprüfung an der HFF stand alles auf Messers Schneide. Ein Teil der Lehrer wollte ihn, ein anderer war zögerlich. „Dann wurde ich zu einem ,Extratanz’ gebeten: eine Stunde lang war ich allein mit drei Dozenten“. Und er hat’s gepackt. „Eigentlich wollte ich mich ja von meinem Heimatort abgrenzen, auch wegen der Eltern. Ich wollte neue, eigene Felder betreten.“
Ein halbes Jahr nach seiner Immatrikulation wurde Hannes Wegener Vater. „Vielleicht schreibe ich darüber meine Diplomarbeit“. Stoff hätte er wohl genug, denn die Zeit nach der Geburt der kleinen Renée-Carlotta war fortan eng bemessen. „Ich kriegte einfach nicht beides so hin, dass alle zufrieden sind. Ich war kurz davor, das Studium zu schmeißen“ – obwohl ihm seine Freundin, die Schauspielerin Isabell Gerschke, den Rücken weitgehend frei hielt. „Dennoch fand ich nur schwer meinen Rhythmus. Manchmal fühlte ich mich wie auf einer Streckbank. Zumal ich durchs Filmen auch noch Geld verdienen musste. Anderseits will man ja die Verantwortung. Ich hab mich durchgebissen, und auch viel Härte dabei verloren. Mein Panzer wurde aufgebrochen – zur Freude der HFF und meiner Freundin.“ Die Schule habe ihm nie Steine in den Weg gelegt, und auch jetzt kann er seiner Theaterarbeit ungehindert nachkommen.
Seit gestern laufen nach sechswöchiger Pause wieder die Proben am Hans Otto Theater. „Vieles konnte inzwischen sacken. In der Regie von Laufenberg versuchen wir, die Figuren erdig zu kriegen, die Konflikte mit Heutigkeit aufzuladen. Wir wollen kein moralisches Lehrstück zelebrieren. Der von Günter Junghans gespielte Nathan geht nicht vom ersten bis letzten Akt mit einem Heiligenschein über die Bühne.“ Und Wegeners Tempelherr ist in dieser den Golfkrieg und die UN-Schutztruppen assoziierenden Lesart ein zurückgelassener Wüstensoldat. „Er ergibt sich völlig der Isolation. Aus reinem Instinkt rettet er schließlich das Mädchen Recha und ist erstaunt, dass er überhaupt zu solchen menschlichen Regungen noch fähig ist. Für das Super-Happyend zwischen den beiden wollen wir allerdings eine etwas andere Spielform finden.“ Bevor er am 23. September diese große Rolle stemmen muss, ist Hannes Wegener am Abend zuvor schon in „Katte“ zu sehen: in drei kleineren Rollen. „Da kann ich mich schon ein bisschen warm machen.“
Eine Träne im Knopfloch hat der Potsdamer trotz der großen Theaterherausforderung dennoch. „Zwei lukrative Filmangebote sind mir deshalb flöten gegangen.“ Und sein großes Ziel ist es schließlich, mal in einem Kinofilm mitzuwirken. Bis ins Fernsehen, u.a. in die Serie „Typisch Sophie“, schafft er es immer mal wieder. „Daily Soaps und Telenovelas sind indes für mich tabu. Dann lieber ein Studentenfilm ohne Bezahlung. Ich will nicht auf einen übermäßigen Kunstanspruch pochen, aber ich will mir schon etwas erarbeiten. Auch um zu zeigen, dass man es wert ist, für größere Sachen in Betracht gezogen zu werden.“
Für ihn ist es wichtig, durch Verantwortung Halt zu finden. Und den bekommt er zuallererst in der Familie. Das ist seine persönliche Erdung, während er sich am Theater und vor der Kamera auch gern in Parallelwelten tummelt.
Von Heidi Jäger
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