
© Andreas Klaer
Kultur: Der Pfarrer und der Kommunist Uwe Holmer sprach über die Gastfamilie Honecker
Dass das Ehepaar Honecker im Winter 1990 ausgerechnet bei einem Pfarrer Zuflucht suchte, galt als Sensation und machte Uwe Holmer bundesweit bekannt. Doch war es eine schwierige Situation, an die sich der 83-jährige Theologe mit kräftiger Stimme und mecklenburgischem Dialekt vor seinen gut 70 Gästen am Dienstagabend in der Urania erinnert.
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Dass das Ehepaar Honecker im Winter 1990 ausgerechnet bei einem Pfarrer Zuflucht suchte, galt als Sensation und machte Uwe Holmer bundesweit bekannt. Doch war es eine schwierige Situation, an die sich der 83-jährige Theologe mit kräftiger Stimme und mecklenburgischem Dialekt vor seinen gut 70 Gästen am Dienstagabend in der Urania erinnert.
De facto galten Margot und Erich Honecker zu diesem Zeitpunkt als obdachlos. Sie hatten in der Wandlitzer Waldsiedlung kein Wohnrecht mehr, fanden nicht einen getreuen Genossen, der sie bei sich aufnehmen wollte und konnten als beim Volk Verhasste auch nicht in eine normale Wohngegend umziehen. Und selbst er, der Pfarrer, hätte den Honeckers eigentlich die Tür vor der Nase zuschlagen können, meint Holmer. Regelmäßig geriet er mit dem SED-Staat in Konflikt, die Stasi bespitzelte ihn jahrzehntelang massiv, keines seiner zehn Kinder durfte das Abitur ablegen. Und doch gewährte Pfarrer Uwe Holmer dem Ehepaar Honecker in dem Dorf Lobetal bei Bernau schließlich Asyl. Dort war er Bürgermeister und Leiter der Hoffnungstaler Anstalten, einer ursprünglich für Berliner Obdachlose gegründeten evangelischen Sozialeinrichtung. Nach langer Diskussion mit seinen Mitarbeitern, die zu recht den öffentlichen Unmut und Ausschreitungen fürchten, brachte er den ehemaligen Partei- und Regierungschef der DDR und die frühere Volksbildungsministerin in zwei Zimmern im Obergeschoss des Pfarrhauses unter, lebten er und seine Familie zehn Wochen lang, vom 30. Januar bis zum 3. April 1990, mit den Honeckers unter einem Dach. In seiner Autobiografie „Der Mann, bei dem Honecker wohnte“ (Hänssler Verlag, 14,95 Euro) hat Holmer auch über diesen Besuch und seine Auswirkungen geschrieben.
Höflich, ja freundlich seien sie gewesen, wenngleich verschlossen und wohl auch durch die Wende-Ereignisse verstört, erzählt Holmer. Meist hätten sie sich in ihren Zimmern aufgehalten und sich dort auch ihre Mahlzeiten selber zubereitet. Es schien, so Holmer, als hätten die beiden, deren Ehe im Volksmund als berüchtigt zerstritten galt, erst in dieser Extremsituation wieder zueinander gefunden. Nur während der Spaziergänge ums Haus, die Honecker aufgrund seines Nierenleidens einmal täglich zusammen mit dem Pfarrer unternahm, führten die beiden ungleichen Männer Gespräche, meist über menschliche, private Themen, wie etwa über Honeckers Erlebnisse im Zuchthaus während der NS-Zeit. „Ich habe dann gemerkt, dass er kein brutaler, sondern ein sensibler, kein harter Mensch ist, im Gegensatz zu seiner Frau“, sagt Holmer überraschend. Sprach er ihn aber doch mal auf aktuell politische Geschehnisse an, schwieg Honecker oft ausweichend. Nur einmal, als sich der Pfarrer lobend über Michael Gorbatschow äußerte, schimpfte Honecker plötzlich auf den „größten Verräter von allen“. Doch verliefen diese Spaziergänge stets kurz und eilig. Rund um die Uhr wurde das Pfarrhaus von Kamerateams und vor allem von einem regelrechten Lynchmob belagert, den Holmer erst nach langer Zeit beschwichtigen und schließlich auch zur Einsicht bringen konnte.
Denn er sei keineswegs ein „roter Pastor“ gewesen, sagt Holmer lachend. Unermüdlich betont er auch an diesem Abend immer wieder, dass man nicht das „Vaterunser“ beten könne, wenn man selber nicht bereit ist, zu vergeben. Er fordert Vergebung statt Rache, um sich von Hass und Verbitterung zu befreien und so Versöhnung zu erreichen. Die Aufnahme der Honeckers war für die Holmers ein Akt ihrer christlichen Ethik, eine Frage des Glaubens und dennoch eine bewundernswerte Tat. Daniel Flügel
Daniel Flügel
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