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Nackig? Nur in Gedanken! Edgar Ray (l) und Michael Ranz parlieren in ihrem neuen Programm über das ach so schwache Fleisch.

© promo

Kultur: Der Ruf des Blutes

Michael Ranz und Edgar May frohlocken die Sünde: „Nackig“ heißt ihr neues Kabarettprogramm

Stand:

Falsch gedacht! Die beiden Herren erscheinen zugeknöpft bis unterm Hals. Nichts mit „Nackig“, wie Titel und Werbefoto suggerieren. Statt gekräuselter Brustbehaarung gibt es eine flotte Verbalattacke auf aller Laster Anfang. Wie steht es mit den Sieben Todsünden? Wie halten es Mann und Frau mit dem Pfad der Tugend? Michael Ranz und Edgar May gehen am Samstag bei der begeistert gefeierten Premiere im Kabarett am Obelisk vor allem mit der eigenen Spezies ins Gericht. Bei Habgier und Völlerei seien die Karten noch etwa gleich gemischt, aber die Trägheit sei schon eher männlich. Und erst einmal die Wollust! „Wollüstige Frauen? Schön wär’s“, stöhnt Ranz. „Ein Mann indes kann der Wollust nicht widerstehen. Sie ist der Ruf des Blutes. Denken und wollüstig sein? Für beides reicht das Blut im Körper des Mannes nicht.“ Ein klares Bekenntnis. Und von diesem Kaliber gibt es an diesem Abend reichlich.

Michael Ranz häutet sich wie eine Schlange, gibt mal den einfältigen Modefuzzi, mal den griesgrämigen Opa, der im Internet zwischen Ossis und Wessis zündelt, mal den abgefahrenen Sachsen, den man nur noch durch Muttis Nylonbeutel vom Schwaben unterscheiden kann. Das aber erst, nachdem er die dem Ossi anklebende Nettigkeit durch einen Drecksaukurs im Allgäu und einen Hinterhältigkeits-Workshop den Garaus gemacht hat. Das Thema Ossi-Wessi flammt immer wieder auf, wobei es Ranz (textlich untersetzt von Tobias Saalfeld) gern hell lodern lässt, sehr zur Begeisterung des Publikums. „Noch immer Mauern im Kopf? Nicht doch. Aber der Todesstreifen ist noch da“, lässt Ranz den altersstarrsinnigen Opa mit Schiebermütze hetzen. Doch das alles nimmt man nicht krumm. Als ausgewiesener Gesichtsakrobat bringt der vielseitige Kabarettist die Leute auch ohne großen Tiefgang zum Lachen. Er schauspielert sich gekonnt durch die menschlichen Abgründe, weiß den italienischen Mafiosi ebenso zu imitieren wie den zum Buddhismus mutierten Sachsen. Vor allem trumpft er mit seinen Liedern auf, wenn er die dunkelsten stimmlichen Sphären erklimmt. Im musikalischen Himmelbett mit Pianist Edgar Mey singt Ranz im DJ Ötzi-Stil „Die Antoinette von der GEZ“, um anschließend mit Georg Kreisler fremdzugehen: „Also geben Sie acht.“

Ranz gibt mal den Blödelbarden, dann wieder den Haken schlagenden Alltagsphilosophen, den man gern am Hacken klebt, wenn er beispielsweise den Fluss der Kapitalströme auf den Grund geht.

Preußisch exakt wie sie sind, stoppen Ranz und May ihr Programm akkurat mit der Eieruhr. Doch so ein Zeitmesser misst auch die Qualität. Die Zuschauer schauten jedenfalls in den zwei Stunden nicht auf die Uhr, außer vielleicht beim Lied über die Langeweile. Ansonsten ging es kraftvoll rockig, nicht allzu zotig, oft klamaukig, ab und an auch hintersinnig über die Bühne. Und man übte sich sogar für einen Moment in politischer Korrektheit: denn das Wort Negerkuss ist aus dem Wortschatz der Kabarettisten verbannt: „Wir sagen Schokokuss mit Füllung aus der Dritten Welt.“

Das johlende Publikum im ausverkauften Saal erklatscht sich am Ende drei Zugaben, trotz penibler Zeitvorgabe. Die Fans bestehen auch auf den Dauerbrenner „Uschi“. Und so geht es zumindest in der Fantasie nackig zur Sache. Heidi Jäger

Erneut zu sehen am 2., 3., 4. März, jeweils 19.30 Uhr, Kabarett am Obelisk, Charlottenstraße 31, Karten unter Tel. 0331-291069.

Heidi JägerD

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