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Kultur: Der Spirit ist noch da

Paddy Kelly trat in der Waschhaus-Arena auf

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Es war eine beispiellose Karriere, die die irische Kelly Family seit den Siebzigern antrat – und die in den Neunzigern ihren Höhepunkt erreichte: Als 1994 das Album „Over The Hump“ erschien, war die inzwischen neunköpfige Familie meilenweit entfernt von ihren Anfängen als Straßenmusikanten. Europa war im Kelly-Family-Fieber, das Album verkaufte sich allein in Deutschland 2,5 Millionen Mal und wurde viermal mit Platin ausgezeichnet. Überhaupt hatte wohl die Hippie-Familie, die meist mit einem Doppeldecker-Bus durch die Lande zog, kaum mit diesem Erfolg gerechnet. Statt Gratiskonzerte standen nun riesige Arenen auf dem Programm: Die Familie war endgültig im Fokus der Öffentlichkeit angekommen und prägte die Titelseiten der wöchentlichen „Bravo“-Ausgaben maßgeblich.

Und auf dem Zenit ihres Erfolges ist die Kelly Family irgendwie verpufft. Nein, nicht ganz: Joey Kelly ist in der Öffentlichkeit geblieben, indem er meist bei Stefan Raab sämtliche Extremsportarten öffentlichkeitswirksam ausprobiert – und Paddy Kelly spielte am Donnerstag in der Waschhaus-Arena. Das ist weniger selbstverständlich, als man meinen könnte: Paddy Kelly hätten nämlich die wenigsten noch mal auf einer Bühne erwartet. Der personifizierte Grund zahlloser schlafloser Nächte liebestoller Teenager knickte unter dem Eindruck seines Erfolges einfach weg – und zog sich als Mönch in ein Kloster zurück. Statt Sexobjekt war nun Askese und Jesus angesagt. Ein geradezu literarisches Ende einer Karriere. Aber jetzt ist Kelly der Entsagung entflohen und als geläuterter Christ wieder auf der Bühne.

Ein Gottesdienst in der Waschhaus-Arena etwa? Nein, Kelly ist doch mehr Musiker als Prediger. Dennoch hatte es schon etwas arg Pathetisches, wie er mit seiner hohen Stimme von Rosen schmachtete, während vor ihm die Arme in die Luft gerissen wurden. Aber er hatte das Publikum hinter sich und wusste es auch zu dirigieren: Dieses bestand zu einem großen Teil aus Mittdreißigern, die ihm zujubelten und frenetisch kreischten, als wären sie in die goldenen Neunziger Jahre zurückkatapultiert worden. Da wurde von den Stühlen gesprungen, geschunkelt und artig im Takt geklatscht – der Spirit ist noch da. Paddy Kelly brachte die Hits: Unter Rauschen und Toben warf er den Kelly-Family-Hit „Fell in Love with an Alien“ in die Arena, das Wehleid sprudelte nur so aus ihm heraus. Er brauchte den Refrain mit gepresster Stimme nur anzusingen, schon sang das Publikum für ihn zu Ende.

Nun war es damals ja durchaus schon etwas anrüchig, sich als Kelly-Fan zu outen – aber jetzt, gut 20 Jahre später, vereinte der Fanatismus wieder und brachte zusammen, was zusammengehört. Auch wenn das Konzert so aufregend wie der Anblick einer Barockfassade war, erntete Kelly für alles, was er tat, frenetisches Geschrei. Vielleicht liegt es daran, dass Kelly auch mit 37 Jahren das zarte Jüngelchen mit der Gitarre verkörpert. Mag sein Gesang auch noch so quäkig rüberkommen, er schmettert ihn doch mit Inbrunst.

Und ja, er tut es tatsächlich: Er singt den 1994er-Hit „An Angel“, der sich damals ein Jahr lang in den deutschen Charts hielt – und nichts von seiner Klebrigkeit eingebüßt hat. Nun ist Kelly keine 16 mehr und quält sich im Refrain doch etwas, aber ein Hit ist ein Hit. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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