Reinhold Messner in Potsdam: Der Stellvertreter
Reinhold Messner sprach im ausverkauften Nikolaisaal über sein „Leben am Limit“.
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Er sei ein horizontsüchtiger Wanderer mit dem Kopf in den Wolken und den Füßen fest auf der Erde und sehe sich als Stellvertreter für all jene, die nicht das Glück hatten, so wie er die Welt zu bereisen, sagt Reinhold Messner am Sonntag im restlos ausverkauften Nikolaisaal zu seinen Gästen. Viele von ihnen, die an diesem Abend zu seinem zweistündigen Vortrag „Leben am Limit“ gekommen sind, wird es wohl auch ganz recht sein, dass der bekannte Kletterer, Extrembergsteiger und Durchquerer von Wüsten- und Polarregionen für sie diese Rolle übernimmt. Denn sich allein nur vorzustellen, wie man ohne Sicherung an einer tausend Meter hohen, fast senkrecht abfallenden Felswand hängt oder bei 30 Grad Minus sein Biwak aufschlägt, fällt dem durchschnittlichen Wanderurlauber sicher schon schwer genug. Messner übernimmt für so viele stellvertretend das Überschreiten von Grenzen, den Ausbruch aus dem Alltäglichen.
Bei Reinhold Messner entbrannte die Leidenschaft für das Klettern bereits im Vorschulalter, als er zusammen mit seinem Vater in den Dolomiten die ersten Felsen hochstieg. Da sei jener besondere Instinkt geschärft worden, jener Flow, dank dem man eine Wand hinaufsteigt, so als wäre die Schwerkraft aufgehoben, wie Messner es auch in seinem den Vortrag begleitenden Buch „Mein Leben am Limit“ beschreibt. Doch berichtet der inzwischen 70-jährige Südtiroler an diesem Abend nicht nur von seinen eigenen reichhaltigen Erlebnissen. Im Gegenteil, fast beiläufig werden die 14 Achttausender erwähnt, die Messner von 1970 bis 1986 allesamt, ohne Flaschensauerstoff, bestiegen hat. Während auf der Großleinwand hinter ihm Fotos, 3D-animierte Bilder oder private Filmaufnahmen riesig aufragende Felswände, Berggipfel und endlos scheinende Schneelandschaften zeigen, flicht Messner immer wieder Exkurse ein, mit denen er auf die Entstehungsgeschichte und Beschaffenheit der Berge, den mit der Erderwärmung einhergehenden Zustand der Gletscher oder auf den Massentourismus am Mount Everest aufmerksam macht. Und es fällt auf, mit welchem Respekt, ja welcher Bewunderung Reinhold Messner von den Leistungen der Berg- und Polarpioniere spricht.
So habe er die Erfahrungen der beiden Briten George Mallory und Andrew Irvine, die 1924 beim wiederholten Versuch der Erstbesteigung des Mount Everest umgekommen sind, noch für seine Besteigung am 8. Mai 1978 nutzen können. Ähnlich lebhaft und mitreißend erzählt Messner auch die zudem mit historischen Fotoaufnahmen unterlegte Geschichte der 1914 begonnenen, am Ende gescheiterten Antarktis-Durchquerung des Iren Ernest Shackleton. Sie sei das Vorbild gewesen für Messners 1989 zu Fuß über den Südpol erfolgte Durchquerung dieses Kontinents, zusammen mit Arved Fuchs. Aber auch auf den tragischen Tod seines Bruders Günther am Nanga Parbat im Jahr 1970 geht Messner ein und beschreibt, weshalb es ihn trotzdem weiter getrieben hat, auf all seinen Expeditionen stets über Grenzen zu gehen, mit möglichst nur einem Minimum an Ausrüstung in einsame, menschenfeindliche Naturlandschaften vorzudringen.
Lebensgefährlich sind Messners Projekte heute nicht mehr, auch wenn er, trotz seines Alters, hin und wieder noch immer auf Felsen klettert und gern in der Welt herumreist. Viel lieber aber widme er sich seinem an verschiedenen Punkten der Alpen errichteten Bergmuseum, züchte er Yaks oder baue er Wein an, fasst Messner am Ende sein „Rentner“-Dasein zusammen. Sein Publikum, das er mit einem großartigen Vortrag begeistert hat, lässt sich viel Zeit beim Applaus. Wohl auch, weil es bereits in der endlos scheinenden Pause jeden der zahlreichen Autogrammwünsche erfüllt bekam.
Reinhold Messner: Mein Leben am Limit. Eine Autobiographie in Gesprächen, Piper Verlag, München 2013, 9,99 Euro
Daniel Flügel
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