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Kultur: Der Tanz auf dem Vulkan

Die „Goldenen 20er“ im Theater-Foyer

Stand:

Nicht einfach nur „Märkische Leselust“ stand am Sonntag im Zentrum der jüngsten Matinee des neuen Theaters, sondern Sangesfreude pur. Sechs Darsteller versprachen dem überaus zahlreich herbeigeströmten Publikum anhand von „rasanten Liedern, Chansons und Texten“ der angeblich Goldenen zwanziger Jahre nichts weniger als einen „Tanz auf dem Vulkan“, und hielten, vom finalen Jubel aus gesehen, wohl auch Wort. Wegweiser durch das Getümmel hochberühmter Autoren und Komponisten von Zelibor und Profes bis zu Hollaender und Eisler war der unverwüstliche Kurt Tucholsky, von dem auch einige Textvertonungen stammten.

„Programmgestalter“ Hans-Jochen Röhrig erlaubte sich, „diverse Sentenzen“ aus dessen Schulaufsatz „Der Mensch“ zwischen Songs wie „Ich bin ein Vamp“ oder „Der Dumme im Leben ist immer der Mann“ einzubröseln, etwa dergestalt: „Der Mensch hat zwei Überzeugungen: eine, wenns ihm gut geht, und eine, wenns ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion“. Auch einige Werbespots von damals waren dabei, etwa für „Tetons Büstenformer Marke Eierbecher“ oder „Rosens Toilettenpapier – edel, rasant, schnittig in der Linie...“

Spätestens bei dem Zusatztext „Wenn die Börsenkurse fallen“ (hinter Tucholskys Autorennamen auf dem Ablaufzettel ein Fragezeichen) war gewiss, dass es sich hier um kein Programm für den schnellen und sicheren Applaus handelte. Mit Temperament, auch stimmlicher Professionalität sowie mit viel Geist wollte man das geneigte Publikum wohl gleichsam durch die Blume auf die Duplizität der Verhältnisse damals und heute aufmerksam machen, ohne den „Unterhaltungsfaktor“ anzutasten. Hollaenders Song „Raus mit den Männern aus dem Reichstag“ oder „Ich lass mir meinen Körper schwarz bepinseln“ von Liebmann/Hollaender) ließen ja auch keinen Zweifel: Dieselben Lebenseinstellungen wie damals: Unterhaltungswut im Eilzugtempo um jeden Preis, Oberflächlichkeit, Erotik. Wie kräftig schmetterten Nadine Schori, Nicoline Schubert und Friederike Walke die Emanzenhymne im Terzett, während es dem Männervolk gefiel, seine Lenden-Phantasien genüsslich bei den Weibern der Fidschi-Inseln auszuleben. Röhrigs „Maier“ am Himalaja ragte naturgemäß etwas heraus – wirklich einsame Spitze!

Aber das war natürlich, nur ein Teil vom Teil. Auf ganz eigene Art brach Hans-Jochen Röhrig die Herzen der stolzesten Fraun, hatte Moritz Führmann dass Fräulein Helen baden sehn, und der gute Tenor von Frank Bettinger zelebrierte pieksauber das „Japanlied“ von Tucholsky/Zelibor solo. Zu sechst besuchte man dann Bedas „Bar zum Krokodil“ (brillante Szene!) und uzte, mit Fez und Schleier, Tucholsky/Nelsons „Allalah“ auf orientalisch. Letztlich, das wusste man damals noch besser als heute, wird überall gelogen wie gedruckt, und nicht nur in der Politik ist (nach Schiffer/Spolansky) „Alles Schwindel“. Klare Zielsetzung, Gestaltungswille und Mut zu kräftigen Tönen und Gesten verwandelten die ollen Kamellen in ein putzmunteres Tagesprogramm für den Februar 2009. Ob Solo, Duett oder der rasante Marsch aller über das obere Foyer durch das Publikum hindurch zur Bühne, mit dem politischen "Sommerlied" von Tucholsky/Eisler und den Worten: Nix gelernt – jeder Song war eine kleine Eruption auf dem Weg zum großen Ausbruch, der da noch kommen soll. Künstlerisch: Qualität von A bis Z, wofür auch Rita Herzog am Klavier zu danken ist. Gerold Paul

Gerold Paul

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