zum Hauptinhalt

Kultur: Der Tanz und das Mädchen

Eine aufwühlende Performance: Cristina Mouras Solo „Like an Idiot“ in der fabrik

Stand:

Am Anfang herrscht totale Stille. Das grelle Licht liegt noch über den Zuschauerrängen, als Cristina Moura ihren Pullover über den Kopf zieht. Ganz langsam geschieht das, mit zähen Bewegungen, schließlich wickelt sie ihn zu einem Turban. Später wird sie dazu sagen, dass sie die Klischees des Negroiden damit thematisiert. Immer noch liegt gleißend das Licht bei den Zuschauern, die Tänzerin hat sich inzwischen auch ihrer Hose entledigt, sie steht da im glänzend-durchsichtigen Top und kurzen schwarzen Höschen. Ihre Beine funkeln schokoladenbraun. Vogelgezwitscher ertönt, das Licht wird dunkler, der Zuschauer beginnt, sich ein wenig zu entspannen.

Sie gibt unverständliche Laute von sich, schreit auch „Yeah, yeah, yeah“ und bewegt sich zeitlupenartig vom linken zum rechten Bühnenrand. Dann tobt sie markerschütternd, geht nach hinten, läuft kreuz und quer nach einem ausgeklügelten choreographischen Muster auf der Bühne herum, findet ein Stück Papier, das am Rand liegt und schneidert sich daraus ein Kind mit Dreadlocks.

Dabei wirkt sie mütterlich-zärtlich, um gleich darauf wie eine Gummipuppe zu hopsen und Break-Dance-Elemente in ihr Solo zu integrieren. Zu Mozartklängen, die sie einem kleinen Kassettenrekorder entlockt, wandelt sie sich in eine Fontäne und spuckt Wasser in alle Richtungen, dass es ihr und dem Publikum eine ausgelassene Freude ist. Die soll jedoch nicht lange dauern, bald darauf stellt sie eine Sex-Szene am schwarzen Vorhang nach, die an imaginierter Brutalität nichts zu wünschen übrig lässt. Irgendwann brummt sie grazil-lasziv in Divapose mit Kleinkindsonnenbrille auf einem Spielzeugmotorrad hin und her, wobei sie das immer noch auf dem Boden liegende Papierkind überfährt. Immer wieder werden Wortelemente eingeführt, sie jammert, schreit, sie stöhnt und winselt. Einmal gibt es Fragen aus dem Off in englischer Sprache, die sie mit Angst, Absurdität und Schwäche beantwortet, dabei immer aggressiver wirkend. Es ist kein lieblicher Tanz einer freundlichen jungen Frau, der hier dem Publikum vorgeführt wird, sondern eine aufwühlende Performance, die von der Wandelbarkeit des Individuums, den es tragenden unterschiedlichen Emotionen, der Kommunikationslosigkeit und von Einsamkeit handelt. Schnell passieren die Übergänge, es ist keinen Moment langweilig, man ist erstaunt und angegriffen von der Wucht der Wütenden, aber auch von der Spiellust der Übermütigen und von der Schwäche der sich auf dem Boden wie ein Wurm Windenden. Der Assoziationsraum ist weit geöffnet, Themen wie Missbrauch, Schönheitsindustrie, Straßenkinder, Gewalt und Sex brauen sich im Kopf des Zuschauers zu einer wirksamen Inhaltsmasse zusammen. Immer wieder ist man gebannt von der auch körperlichen Flexibilität Cristina Mouras. „Like an Idiot“ könne vielfältig gedeutet werden, sagt sie im anschließenden Publikumsgespräch und gibt zu, dass dieses Stück, das sie schon in der ganzen Welt aufgeführt hat, an ihre persönlichen Grenzen geht.

Lore Bardens

Lore Bardens

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })