Kultur: Der Teufel im Lindenpark
Tanzwut auf der Suche nach dem Irrgarten der Sinne
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Tanzwut auf der Suche nach dem Irrgarten der Sinne Von Philipp Rothmann Nein, eine Massenorgie wurde es nicht, auch riss sich keiner die Kleider vom Leib. Es war der Sänger „Teufel", der nach dem ersten Lied der Band am späten Freitagabend das Publikum dazu aufforderte, mit ihm auf diese etwas spezielle Art „durchzudrehen“. Die Menge, die Tanzwut erleben wollte, schien die Aufforderungen eher gelassen hinzunehmen. Es hätte auch angesichts des bunt gemischten Publikums, Kinder standen neben schon ergrauten Eltern, sehr eigenartig gewirkt, wenn alle Fans der nett gemeinten Einladung des Sängers gefolgt wären. Tanzen bis zur Extase, das ist es, was Tanzwut den Fans ermöglichen möchten. Dem entsprechend klingt auch ihre Musik: Eine Dampflok, die man mit dem Kopf auf den Schienen herannahen hört. Man fühlt sich überrumpelt, es gibt kaum Pausen zum Aufatmen. Tanzwut mischen in ihre technoartigen Rhythmen Dudelsackklänge und weiche Elektronikteppiche. Das Ganze wird bereichert durch eine ausgesprochene angenehme Stimme, die zwar sehr bedrohlich, aber auch dämonisch-süß, die Macht der Verführung demonstriert, was ebenfalls in den Texten immer wieder deutlich wird. Der Teufel hat bei den sieben Musikern von Tanzwut einen hohe Stellenwert. Er ist Symbol für Verführung, Leidenschaft und die Sinnlichkeit im Allgemeinen. Tanzwut sind aber deswegen keine Teufelsanbeter, vielmehr appellieren sie mit ihrer Musik an den, dem Menschen angeborenen Hang, sich im Labyrinth der Sinne verirren zu wollen. Den Ursprung ihrer Musik haben Tanzwut in dem mittelalterlich geprägten Spielmannszug Corvus Corax, in dem einige Mitglieder noch heute spielen. Corvus Corax haben sich 1989 gegründet und touren seit dem über Mittelaltermärkte, Stadtfeste und durch Konzerthallen. Als eines ihrer zahlreichen Nebenprojekte wurde 1996 Tanzwut ins Leben gerufen und entwickelte sich aber alsbald zu einer eigenen Band mit durchschlagendem Erfolg. Das Konzept von Corvus Corax, mit mittelalterlichen Instrumenten zu musizieren, wurde von Tanzwut erweitert und durch Technoanleihen modernisiert. Demnach findet man bei Tanzwut immer noch genug Elemente aus der Welt der Spielleute: Närrische Verkleidungen und die Sprache des einfachen Volkes vergangener Zeiten. Das ist es auch, was den Abend so seltsam anmuten ließ. Der Lindenpark ist kein Mittelaltermarkt und dementsprechend war es schwer, die dargebotene Show ernst zu nehmen. Interessant die Idee, mittelalterliche Musik mit Techno zu kombinieren. Aber der Anspruch, den sich die Band auf ihrer „Ihr wolltet Spaß"-Tour stellt, ein Labyrinth der Sinne zu schaffen, in welchem das Publikum sich verirren sollte, wurde leider nicht erreicht. Vielmehr blieb das Publikum gut gelaunt, tanzend auf dem Boden im Lindenpark und ließ die „teuflische“ Verführung in den Irrgarten der Sinne Sache des ausgelassenen Sängers sein.
Philipp Rothmann
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