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Kultur: Der Tod ist ungerecht

Martin Schlobies las im „La Strada“ in Babelsberg

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Martin Schlobies las im „La Strada“ in Babelsberg In Martin Schlobies Erzähldebüt „Schöne Schwester des Todes“ nimmt das Unheilvolle seinen Lauf in der von der Sonne ausgedörrten Landschaft Süditaliens. Der Zuhörer, der an einem der 20 Plätze an den großen alten Holztischen im italienischen Delikatessenladen „La Strada“ in Babelsberg Platz genommen hat, sieht Antipasti vor sich, Rotwein und Wasser. Er schaut auf die fein dekorierten Auslagen, Weinflaschen, Parmaschinken und Salamisorten in der Vitrine. Je mehr der Autor mit seinen Figuren – Olivia, deren drei Ehemänner bereits tragisch verstorben sind, noch bevor die Ehe vollzogen wurde, der Bäckerin Emilia Tagliapietra oder der einarmigen Maria Spanazzi – durch die Handlung voranschreitet, desto passender erscheint die Wahl dieses liebevoll gestalteten Ortes für gerade diese Veranstaltung. Literatur, Wein und italienische Vorspeisen, das scheint den Genuß zu komplettieren. Schlobies, der im besten Mannesalter seine Neurologenpraxis gegen ein Schriftstellerdasein tauschte, liest bedächtig und ruhig aus seinem 70 Seiten dünnen Büchlein, das im traditionsreichen Merlin-Verlag erschienen ist. An Olivia, so glaubt die kleine Dorfgemeinschaft nach den Todesfällen, hänge ein Fluch: „Wenn sie so weitermacht, wird sie den ganzen Ort entvölkert haben, bis sie dreißig ist!“ Ausgrenzung und Vereinsamung nehmen ihren Lauf, „sie lebte, weil Himmel und Erde sie umfingen, und führte ein pflanzliches Dasein“. Zwei Männer werden ihren Weg noch kreuzen, doch das schauerliche, lakonisch erzählte Ende ist eigentlich schon dem ersten Satz von Schlobies Geschichte mitgegeben. Der Tod schwebt über den Zeilen von Schlobies, der, wie er erzählte, durch das Schreiben seinen eigenen dunklen Seiten nachgehen möchte. Was kaum einer der Anwesenden wusste: der Tod hatte auch das Bistro La Strada in unheilvoller Art vor nicht zwei Jahren heimgesucht. Und ob nun Schlobies den knappen, dahinschreitenden, fast märchenhaften Erzählton nicht zu sehr an italienischen Vorbildern wie Natalia Ginzburg angelehnt hat, ob seine gelegentlichen stilistischen Aussetzer („Er kletterte über die Planke , , um zu pissen“) und die holprigeren Dialogszenen beim Zuhören zu Irritationen führten – das trat zurück vor der Geschichte von Frau Schröder, Franzi und ihrem La Strada und der verblüffenden Tatsache, dass Schlobies Erzählung in diesem Moment an keinem anderen Ort der Welt so gut aufgehoben war. Denn Frau Schröder hatte der Krebs erst ihre schwarzen Haare genommen, dann schnell ihre Fröhlichkeit mit der sie Capuccino aufschäumte und die Kraft, mit der sie ihre selbstgemachten Tellergerichte servierte. Frau Schröders Bistro war mittags eine Enklave der Ruhe: Fremde saßen plötzlich im La Strada an den großen Tischen zusammen, um gemeinsam eine Mahlzeit einzunehmen, während Franzi, der Engel, die Colaflaschen aufdeckelte. Frau Schöder war gut, und ihr Tod war ungerecht - genau wie bei Schlobies’ Olivia. Nun ist Frau Schröders Lebensgefährte, Frank Lemnitz, Gastgeber. Das La Strada und Franzi gibt es immer noch, seit sieben Jahren. Ihnen seien noch viele solcher stimmungsvollen und stimmigen Lesungen gewünscht. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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