
© Josef Fischnaller/EMI
Kultur: „Der Ton des Königs ist einfach anders“
Emmanuel Pahud hat mit der Kammerakademie Flötenmusik von Friedrich dem Großen aufgenommen
Stand:
Herr Pahud, Johann Sebastian Bach und Friedrich der Große gemeinsam auf einem Album, ist das nicht vielleicht doch etwas zu viel des Guten?
Aber warum denn nicht? Die beiden sind sich doch in Potsdam begegnet. Auf dem Doppelalbum habe ich versucht, sowohl die musikalische Welt vor und nach Friedrichs Wirken als Musiker und Komponist aufzuzeigen. Die alte Welt verkörpert Vater Bach. Dazwischen die musikalische Transformation, die am preußischen Hofe in Form von Solostücken, Sonaten, Triosonaten und dann auch Flötenkonzerten stattgefunden hat. Und zum Abschluss die „Hamburger Sonate“ von Carl Philipp Emanuel Bach, die dieser nach seinem Aufenthalt in Potsdam schrieb. Damit wollte ich zeigen, was in dieser Zeit auf dem Lieblingsinstrument des Königs passiert ist.
Aber Bach und Friedrich auf einem Album, das provoziert einfach den Vergleich. Wie haben Sie in Ihre Auseinandersetzung mit seinem Werk Friedrich dem Großen als Komponisten erlebt?
Diese Frage taucht immer wieder auf und ich kann nur staunen, wie spannend das scheinbar ist. Natürlich, ein König, der auch Flötist und Komponist ist, wirkt schon etwas eigenartig. Aber er war auch Philosoph und ein frei denkender Mensch. Er hat sich für so vieles interessiert, hat sich die Besten an seinen Hof geholt und sich von ihnen beraten lassen. Was nun sein Schaffen als Komponist betrifft, kann ich nicht sagen, dass seine Inspiration über die Inspiration anderer Komponisten gelegen hat. Aber es gibt etwas in seiner Tongebung, in seinem Duktus, das ist anders.
Inwiefern anders?
Wenn der König spricht, ist es anders, als wenn ein Höfling spricht.
Selbst auf der Flöte?
Ja, das hat immer etwas Martialisches, Autoritäres und Pompöses. Nehmen wir zum Beispiel die Ecksätze, die bei einem Franz Bender oder bei einem Carl Philipp Emanuel Bach rasant und furios sind. Die sind bei Friedrich dem Großen eher würdevoll, auf einem breiteren Metrum, also dem Auftritt des Königs angemessen. Dafür sind aber die langsamen Sätze sehr ausdrucksvoll und sehr kontrastreich, voller Facetten. Ich glaube, in diesen Sätzen hat Friedrich der Große als Flötist sein Können sehr gut gezeigt. Mit großem Ton und großem Ausdruck, mit mehr Affekt und viel mehr Emotionen, als es bis dahin üblich war.
Würden Sie soweit gehen, dass man hört: Hier hat ein König komponiert?
Das kann man tatsächlich sagen. Ich muss zugeben, dass ich bei den Aufnahmesitzungen für sein Flötenkonzert Nr. 3 und die Sonate in F-Dur sehr schnell gemerkt habe, dass ich da anders herangehen muss als an die Werke von anderen Komponisten, sozusagen den Profis. Der Ton des Königs ist einfach anders.
War es einfach für Sie, diesen anderen Ton zu finden?
Heutzutage gibt es kaum noch diese Relation zwischen Herrschenden und ihrem Volk. Und deswegen ist es für uns Musiker heute viel schwieriger dies zu verkörpern. Wie könnte er manches gemeint und letztendlich auch ausgedrückt haben?
Hat es Sie überrascht, das Königliche auch in Friedrichs Kompositionen zu finden?
Natürlich wusste ich, mit wem ich es da zu tun habe. Aber das auch in der Musik wiederzufinden, das war für mich dann doch eine große Überraschung. Und das dies der Schlüssel ist für die richtige Interpretation. Egal, ob etwas barock oder zeitgenössisch ist, russisch, französisch oder italienisch, für mich ist es immer wichtig, den Schlüssel, den Zugang zum Komponisten zu finden. Bei Friedrich dem Großen habe ich erlebt, dass all das, was ich bei anderen Komponisten sonst versuche oder gewohnt bin zu tun um diesen Schlüssel zu finden, es hat immer nur einen Nachgeschmack, einen unechten Geschmack hinterlassen. Und da mussten wir, also der Cembalist Trevor Pinnock und die Kammerakademie Potsdam, mehrmals ran, um den richtigen Puls zu finden.
Wenn selbst in seinen Kompositionen immer noch der König spricht, kann man hier trotzdem noch eine andere Facette von Friedrich dem Großen, dem Menschen und nicht dem König, entdecken?
Ich glaube, für ihn war das die Stimme der Freiheit. Alles, was er als König nicht machen durfte, konnte er irgendwie durch die Flöte vermitteln. Er hat die Musik genutzt, um sich frei zu sprechen. Gerade in seinem äußerst schwierigen Verhältnis zu seinem Vater. Denn auf einer Reise mit seinem Vater nach Dresden, zu der er überhaupt keine Lust hatte, hörte er zum ersten Mal seinen späteren Lehrer und Hofkomponisten Johann Joachim Quantz spielen. Diese Musik, die muss ihm aus der Seele gesprochen haben. Ich kann mir das sehr gut vorstellen, weil ich genauso im Alter von fünf Jahren reagiert habe, als ich zum ersten Mal eine Flöte hörte, die in der Nachbarwohnung gespielt wurde.
Und Sie wussten sofort, das ist Ihr Instrument?
Zuerst einmal habe ich meine Eltern gefragt, was da überhaupt zu hören ist. Und dann habe ich gesagt: Das möchte ich auch einmal können. Bei Friedrich, so glaube ich, war es der ganze Frust, der sich durch die Tyrannei seines Vaters in ihm angesammelt hatte, den er durch die Musik, durch das Spiel der Flöte aussprechen konnte. Deswegen entdeckt man durch die Kompositionen eine ganz andere Facette von Friedrich dem Großen. Sonst war er ein eher kühler und verschlossener Mensch. Hier erleben wir ihn viel freier.
Ihr Album trägt den Titel „Flötenkönig. Friedrich der Große – Eine Widmung“. Ganz ehrlich, so bedeutend ist der Beitrag Friedrichs zur Flötenmusik nun auch nicht, dass man ihm, Jubiläumstrubel zum 300. Geburtstag im kommenden Jahr hin oder her, gleich ein Doppelalbum widmen muss.
Vielleicht nicht direkt sein eigener Beitrag. Aber die Tatsache, dass er so viele Intellektuelle der unterschiedlichsten Kunstformen an seinen Hof geholt hat, darunter auch Johann Joachim Quantz. Und die Flötenschule von Quantz, in der ich schon als Kind viel geblättert habe, hätte es ohne Friedrich nicht gegeben. Denn erst als Quantz am Hofe Friedrichs war, hat er sich verstärkt dem Didaktischen gewidmet. Damit war er wohl einer der ersten Pädagogen der Musikgeschichte, jenseits von einem Johann Sebastian Bach. Aber auch wenn ein Großteil von Friedrichs Kompositionen, und das aus gutem Grund, noch nicht eingespielt wurden, der Eindruck, den er als Flötist und Komponist hinterlassen hat, ist mit Sicherheit groß genug, dass wir uns fast 300 Jahre später immer noch damit auseinandersetzen.
Das Gespräch führte Dirk Becker
„Flötenkönig. Friedrich der Große – Eine Widmung“ mit Emmanuel Pahud und der Kammerakademie Potsdam, EMI Classics, erscheint am heutigen Freitag, dem 18. November
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