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Kultur: Der Traum vom Glanz

Die zweite Venezianische Nacht der Friedenskirche

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Eine warme Vollmondnacht, etwas Regen, Kultur in Überfülle: Die zweite Venezianische Nacht in und an der Friedenskirche fand mit mehr als vierhundert Besuchern ein mindestens doppelt so großes Echo als jene im vergangenen Jahr. Ein sehr langes Vergnügen auch diesmal, bis nach Mitternacht gehend. Die Struktur dieses südlichen Traumes blieb sich weitgehend treu: Ein Eröffnungskonzert mit der bewährten „Kleinen Cammer-Music“ (vorwiegend in Streicher-Besetzung) aus Magdeburg in der Kirche, der aus instrumentalen, vokalen, verbalen und diesmal sogar theatralischen Teilen bestehende Kern rund um die Christus-Statue im Atrium und der mitternächtliche Beschluss im kerzenbeschienenen Gotteshaus mit ganz besonderem Flair.

Zwischendurch wurde man dreimal mit exquisiten mediterranen Delikatessen versorgt. Natürlich unterschied sich dieser Kulturmarathon von seinem Erstling auch deutlich. Venedig gab ihm sein eigenes, recht apartes Gesicht diesmal paarweise. Venedig hat wohl die gesamte Kultur der Neuzeit befruchtet, alles was Rang und Namen hatte, traf sich dort mit den Größen der Zeit: Johann Rosenmüller und Giovanni Legrenzi, Heinrich Schütz und Salomone Rossi, Georg Friedrich Händel und Antonio Vivaldi. Man sieht, um welche Epoche es der veranstaltenden Friedensgemeinde vornehmlich ging.

Glanz und Elend ist einer jeden Stadt eigen. Zuerst der Glanz Venedigs: Die alternierende Darstellung von Rosenmüller und Legrenzi forderten den Vergleich geradezu heraus. Der Einheimische dunkel und schwermütig, heller und luftiger der Deutsche – als ob seine „Sonata da Camera“ Nr. 1 F-Dur von 1670 venezianischer als die 18. Sonnata „La Cetra“ sei, wenigstens in der Magdeburger Lesart mit Viola da Gamba, Spinett und Theorbe. Man hörte freilich auch eine gewisse Eintönigkeit des Stiles heraus.

Dann trug Klaus Büstrin eine Liebeserklärung von Carlo Goldoni an Venedig vor, welcher sich Auszüge aus dessen Stück „Das Kaffeehaus“ anschlossen. Viel später, im Pariser Exil, dachte der Dramatiker völlig anders über den „Glanz der Lagune“.

Nicht von ihm, sondern von Molière stammte eine Commedia del arte-Szene des „Poetenpack“: Ralf Bockholdt und Andreas Hueck spielten in original venezianischen Halbmasken einen der Streiche Scapins.

Sehr geschickt war der folgende Teil arrangiert. Um die Verbindungen des zweiten „Paares“, Rossi und Schütz, deutlich zu machen, gruppierten sich Instrumentalisten des heimischen „coro campanile“ (Leitung Matthias Jacob) bei heraufziehender Dämmerung auf drei Seiten des Atriums, was in der zehnteiligen Abfolge hübsche Effekte erzielte. War das Kammerensemble mit den üblichen Bedingungen des Open-Air-Musizierens konfrontiert, so gestaltete der A-capella Chor mit den venezianisch-ästhetischen Finessen von Schütz – eine gute Abteilung des Abends.

Im dritten Teil, Händel und Vivaldi gewidmet, mischte sich das Donnergrollen eines benachbarten Feuerwerks, was der Mezzosopranistin Olivia Vermeulen (dankenswerterweise für Kristiina Mäkimattila eingesprungen) bei Vivaldis Arie des Holofernes aus „Juditha triumfans“ einiges abverlangte. Viel Extra-Beifall. Die Sopranistin Sophie Klussmann hatte solche Probleme nicht, als sie danach Händels Kantate „Tu fedel? Tu constante?“ mit großer Leichtigkeit vortrug.

Vor dem „Nachtprogramm“ mit Werken von Gasparini, Vivaldi, Marcello und Legrenzi trug Klaus Büstrin einige Sätze aus Hanns-Josef Ortheils Buch „Venedig. Eine Verführung“ vor, darin man auch vom verblassenden Glanz der Lagunenstadt heute erfuhr, den Rest: „Nichts Festliches mehr, eher etwas Spukhaftes“, bescheinigt er ihr. Nicht dies wird Thema der nächsten Veranstaltung sein, sondern Vivaldi solo. Bis dahin bleibt der Traum vom Glanz dieser Stätte, die alles begehrt, was sich ihr nähert, und frisst. Venedig ist ja auch die Stadt des Todes.

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