Kultur: Der Traum von Jake und Charlie
Poetenpack spielt „Steine in den Taschen“
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Poetenpack spielt „Steine in den Taschen“ Was für eine geniale Idee: Die irische Autorin Marie Jones lässt in ihrem mehrfach preisgekrönten Stück „Steine in den Taschen“ einen Drehstab aus den USA in ein irisches Provinzdorf einfallen, um vor idealer Naturkulisse einen Film zu drehen. Stars wie Caroline Giovanni werden mitgebracht, die Einwohner dieser „strukturschwachen Region“ geben die Komparsen. Sie sollen jubeln, wenn das später gutsherrliche Paar dann Hochzeit macht, schweigen, wenn die Darsteller im „Stillen Tal“ eine hiesige Familie auf die Straße setzen. Unrecht, finden die Dörfler, und murren. Man murrt lauter, als es wegen der Fremden zu einem unglücklichen Selbstmord aus Eifersucht kommt: Sean, einer von ihnen, verliebt sich in die Diva, weil er sie aber nicht erreichen kann, stopft er sich die Taschen voller Steine, um ins Wasser zu gehen. Der strenge Drehverlauf ermöglicht es kaum, die Einwohner zur Beerdigung zu lassen, und wieder murrt es. Inmitten dieser mürrischen Motivkette lässt die Autorin echte Männerfreundschaft zwischen zwei Komparsen reifen: Jake kommt aus dem Dorf, Charlie ist nach dem Kollaps seines kleinen Video-Verleihs auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Beide sind mäusearm, doch hat der Städter anstelle von Steinen wenigstens ein Drehbuch in der Tasche. Nach zwei guten Theaterstunden im T-Werk weiß der Zuschauer, auch bei ihnen wird die Grenze zwischen Illusion und Wirklichkeit verwischen ... Weniger genial als das Sujet ist die Form dieses Zweipersonenstückes. Es schildert in kurzen Spots ungezählte Figuren und Situationen im Dorfe und beim Drehen. Für Schauspieler eine ungewöhnliche Herausforderung, ein so multiples Ding mit Spannung und Atmosphäre aufzubauen, ohne dabei das Publikum zu irritieren. Christoph Keune und Paul El Selman vom „Poetenpack“ haben dieses Wagnis auf sich genommen. Was sie mit sichtbarer Freude, Ideen und großer Einsatzbereitschaft in Szene setzten, belohnte das Publikum mit sattem Beifall und mehreren Vorhängen rechtens. Nun ist eine solche Struktur in der Regel der Tod jeden schlechten Theaters. Figuren müssen zügig aufgebaut, Situationen blitzschnell hergestellt werden, nicht jedermanns Sache. Für die alerten Protagonisten schon. Ihnen genügte eine mit drei Busch-Kulisschen bestückte rasengrüne Fläche (Bühne und Kostüme Bettina Plesser), mit Hingabe zu spielen und zu sein. Botho Karger gab direkt auf der Bühne die Perkussion, Andreas Lüder führte Regie mit glücklicher Hand. Anfangs brauchte man etwas Zeit, die rasanten Verwandlungen zu fassen, dann tat man es mit wachsender Freude. Eine Perücke für Caroline, eine umgewendete Jacke, verstellte Stimmen, andere Gänge charakterisierten die gesammelte Personage hinreichend: Den zunehmend genervten Regisseur samt seines uranistischen Assistenten, Saens drogenabhängigen Freund, die Diva, welche Jake nur um Nachhilfe beim irischen Slang bat - Seans Selbstmord hatte die falsche Prämisse. Brillant, was Keune und El Selman da stringent und spannungsvoll erspielten. Ihr Spiel hatte Tempo und Pfiff, Tiefe und Glanz, Ausdruck und auch Humor, was eine Komödie mit tragischen Züge braucht. Intensive, sehenswerte Figurenbeziehungen besonders dort, wo die Freunde direkt aneinander geraten, männlich, doch ohne Gewalt. Es geht um ganz existentielle Fragen: Ob eine reale Beerdigung wichtiger sei als zwei verlorene Drehstunden, ob Fremde sich anmaßen dürfen, Bauern aus ihrer eigenen Kneipe zu werfen, ob die Vermischung von Wirklichkeit und Traum nicht neue Illusionen zeugt. Im Finale sind die beiden hoffnungsvoll entschlossen, das gerade erst Geschehene gleich wieder zu verfilmen. Nix gelernt: Charlie“s und Jake“s Realität (man spürt es) ist auf dem Weg in einen neuen Traum, und deshalb muss alles wieder von vorne beginnen. Gerold Paul Nächste Vorstellungen: 15. und 16. sowie 22. und 23. Oktober jeweils 20 Uhr im T-Werk Potsdam, Reithalle B
Gerold Paul
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