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Lebt er noch oder glotzt er nur? Pierre Schäfer und Friederike Hellmann mit einem der Hauptdarsteller in ihrem Puppenmärchen „Ilsebill“.

©  T-Werk

Kultur: Der Zauber der Puppen

Am Freitag ist „Ilsebill“ von Pierre Schäfer und Friederike Hellmann im T-Werk zu erleben

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Langsam bewegen sich die Kiemen des schlaffen Butts auf und ab, auf und ab. Nach Wasser ringend, wirft er sich mit letzter Kraft von einer Seite auf die andere. Hier, auf einem kargen Küchentisch mit zerschrammten Beinen und fleckiger Stoffdecke, ringt das Tier um sein Leben. Doch Pierre Schäfer hat keinen Blick dafür. Mit zornig zusammengezogenen Augen schreit er Spielpartnerin Friederike Hellmann an. Mit seiner linken Hand packt er die zierliche Frau an der Schulter und hämmert kurz darauf so kräftig mit der gleichen Hand auf den Tisch, dass ihm seine langen dunklen Haare ins Gesicht fallen. Seine Faust landet direkt neben dem gequälten Butt. Das Tier zuckt zusammen, wird von der Wucht in die Höhe katapultiert. Dann bleibt es liegen – leblos, für einen Moment, bis Schäfer die Kiemen der blau glänzenden Stoffpuppe auf seiner rechten Hand wieder in Bewegung bringt.

„Puppen können Sachen, die Schauspieler nicht können“, sagt Pierre Schäfer. Der Mensch sei an physikalische Gesetzmäßigkeiten gebunden, Theaterpuppen nicht. Wie zum Beweis lässt der Puppenspieler den blauen Stofffisch an seinem Arm auf einer unsichtbaren Welle durch die Luft des Proberaums in der Berliner Schauspielschule Ernst-Busch schweben. Von einer Sekunde auf die andere könnten Puppen, wie Kasper, Gretel und Co im Erdboden verschwinden oder ein Fisch die Schwerkraft überwinden. „Das kann eine Tänzerin nicht.“

Am kommenden Freitag sind Pierre Schäfer und Friederike Hellmann mit der Premiere ihres Puppenspielstücks „Ilsebill“ im T-Werk zu erleben. Frei nach der Vorlage der Gebrüder Grimm und ihrer Geschichte „Vom Fischer und seiner Frau“ reiht sich das Werk mit den beiden Figurenkünstlern ein, in eine lange Liste moderner, erwachsener Puppenspiele, die in dem Theater an der Schiffbauergasse bereits aufgeführt wurden.

Die Stücke mit den Puppen haben dort eine über Jahre gewachsene Anhängerschaft gefunden, sagt Jens-Uwe Sprengel, künstlerischer Leiter am T-Werk. Nicht nur Pierre Schäfer und die Theatergruppe Handgemenge hätten hier einen festen Platz im Programm auch das Figurentheater Wilde und Vogel. Sie gaben in Potsdam Mitte der 90er Jahre ihr Debüt. Über die Jahre folgten andere Puppenspielkünstler, wie die französische Theatertruppe Les Antliaclastes, das Theater Meschugge, Anubis oder Spectaculum, die zum Teil auch auf dem internationalen Theaterfest Unidram zu sehen waren.

Mit dem klassischen Puppenspiel à la Kasper, Gretel und Co haben die meisten Aufführungen nur wenig zu tun. Im T-Werk werden vor allem moderne, offene Theaterformen für Erwachsene gezeigt. Die Puppenspieler interagieren als Schauspieler mit ihren Figuren, Masken oder Objekten auf der Bühne und stehen nicht verdeckt hinter einem Schaukasten. „Wir bedienen eine Marktlücke“, sagt Sprengel, „und das funktioniert sehr gut.“ Die Fans seien begeistert. „Totes wird lebendig“, erklärt Sprengel die Faszination am Puppenspiel. Ein Besen beginnt zu sprechen, ein Fisch zu fliegen. „Das sind neue, überraschende Formen, die Spaß machen.“ Das Figurentheater könne eine Vielfalt erzeugen, die sonst nur auf großen Bühnen mit zahlreichen Schauspielern zu finden sei.

Die Vielfalt des Puppenspiels war es auch, die den 49-jährigen Pierre Schäfer dazu brachte, sein Medizinstudium abzubrechen und den Beruf des Puppenspielers zu ergreifen. Schon als Kind habe er die Figurenkünstler beneidet, erzählt Schäfer. „Dass die mit den Puppen so viel anfangen konnten, fand ich toll.“ Nach dem abgebrochenen Medizinstudium begann er im Jahr 1986 seine Ausbildung an der Ernst-Busch-Schule in Berlin und legte in der Abteilung Puppenspielkunst sein Diplom ab. Noch heute ist Schäfer dort als Gastdozent tätig. So lernte er auch seine jetzige Spielpartnerin Friederike Hellmann kennen. Die 26-Jährige hat dort studiert. Für das Gemeinschaftsprojekt von T-Werk und Berliner Schaubühne arbeiten sie erstmals zusammen.

„Das Grimmsche Thema des Wünschens fanden wir spannend“, sagt Friederike Hellmann. Ein Fischer, der mit seiner Frau in einer armseligen Hütte lebt und einem Butt das Leben rettet, wird von seiner Frau gedrängt, sich immer mehr von dem zum Fisch verwandelten Prinzen zu wünschen – so geht die Geschichte im Original. Seit Anfang März laufen die Proben in der Schauspielschule für das neue Puppenspielstück von Regisseurin und Texterin Annette Gleichmann.

Die moderne Persiflage spielt in einer sparsam eingerichteten Wohnküche eines arbeitslosen Fischfachverarbeiters und seiner ebenfalls arbeitslosen Frau Ilsebill. Eine grelle Energiesparlampe erleuchtet die Bühne, auf der lediglich ein Tisch, zwei Stühle und ein Ikea-Regal stehen. An ihrem Hochzeitstag sind Hans und Ilsebill nur zwei hartgekochte Eier und eine Dose Fisch geblieben, die ein Geheimnis in sich trägt. Ganz im Sinne des bekannten Märchens wird in knapp 70 Minuten erzählt, welch ungeahnte Folgen die Erfüllung von Wunschträumen in der heutigen Zeit haben kann.

Anders als im Kasperletheater sind auch Pierre Schäfer und Friederike Hellmann in ihrem Stück offen auf der Bühne zu sehen. Schon in den Proben zeigt sich, dass das Zusammenspiel der beiden Puppenspielkünstler gut funktioniert. Selbst der Stofffisch entwickelt innerhalb kürzester Zeit ein Eigenleben. Mal spielt Pierre Schäfer das leidende Tier und gibt dem verwunschenen Prinzen eine tiefe, bassige Stimme – und mal nimmt sich Friederike Hellmann das Tier an die Hand oder bewegt es durch das Glas mit den Eiern. Mehrmals wird der Fisch im Stück sein Aussehen und Spiel verändern, mal schlüpft er aus einer Dose, mal liegt er leblos auf dem Tisch neben einem kreischenden Babyphone. Aber egal wer von den Figurenkünstlern den Fisch gerade an der Hand hat, er will ständig mit Leben gefüttert werden.

„Wir sind keine Schauspieler, aber schauspielende Puppenspieler“, sagt Pierre Schäfer. Vorsichtig lässt er nach der Probenpause seine Hand zurück in die Klappmaulpuppe gleiten. „Ich und mein Handschuh“, sagt Schäfer und blickt dem Stofftier in seine großen gelben Plastikaugen. Seit 22 Jahren tritt er schon mit den Figuren auf – „ohne Puppe fühle ich mich unwohl.“ Nackig, sagt er dann, würde er nicht so gerne auf die Bühne gehen wollen.

Am Freitag, 27. April und Samstag, 28. April, jeweils um 20 Uhr im T-Werk, Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 6 bis 12 Euro. Reservierungen unter Tel.: (0331) 71 91 39

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