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Kultur: Der zehn-hundertzehnjährige Junge

„Oskar und die Dame in Rosa“ hatte mit Rahel Ohm im Walhalla Premiere

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„Oskar und die Dame in Rosa“ hatte mit Rahel Ohm im Walhalla Premiere Ostern ist die richtige Zeit, dem verdrängtesten und tabuisiertesten Thema unserer Jugendwahngesellschaft eine Stimme zu verleihen. Der französische Autor Erik-Emmanuel Schmitt hat sich auf eine Kombination von Glaubens- und philosophischen Fragen in scheinbar einfachem Gewand spezialisiert und damit weltweit großen Erfolg. In „Oskar und die Dame in Rosa“, das am Donnerstag Abend seltsamerweise im Variété „Walhalla“ Premiere hatte, geht es um das schnelle Sterben des zehnjährigen Jungen, der dank eines erzählerischen Tricks (jeder Tag ein Jahrzehnt) ein komplettes, fast überlanges Menschenleben durcheilt. Ort der Aufführung ist eine Minibühne, an der Wand hängen zwei rosa Kittel, und ein Lichtfenster sprüht orange auf einen simplen Tisch und zwei Stühle. Das Bühnenbild, das Susanne Füller unter der Regie von Johanna Hasse entwarf, nimmt sich, ebenso wie Lichtregie und Inszenierung zurück, um allein dem Monolog von Rahel Ohm das changierende Feld von Verzweiflung, Hoffnung, Liebe, Menschlichkeit und letztendlich dem tapferen Sterben des zehnjährigen Oskar zu überlassen. Rahel Ohm war, nachdem ihre anfängliche Anpassungsunsicherheit überwunden war, meist voll da. Und zwar nicht nur als Oskar, sondern auch als die Dame in Rosa und als Erzähler. Ihr oblag die schwierige Aufgabe, das pralle Leben, das sich dem leukämiekranken Jungen innerhalb von zwölf Tagen offenbart, mit all den zugehörigen Emotionen zu interpretieren. Zwar ähnelt sie äußerlich weder Oskar noch „Mamie Rose“, aber dank ihrer Wandlungsfähigkeit wurden diese Figuren präsent. So verlieh hauptsächlich die Stimmlage der Mimin, mal rotzfrech laut, das Dennoch des Todgeweihten markierend, mal kläglich leise, seine Angst transportierend, den unterschiedlichen Seelenlagen des Jungen Leben, und übernahm im monologischen Dialog, versichernd-beruhigend oder angeberisch-bestimmt die Tonlage der Mamie Rose. Diese entpuppt sich als ehrenamtliche Helferin schon weit „über dem Verfallsdatum“, wie Oskar nicht gerade zimperlich feststellt, aber dennoch oder gerade deshalb eröffnet sie ihm – und nicht seine Eltern oder die Ärzte – eine Perspektive. Natürlich besitzt sie ein hohes Maß an Überzeugungskraft erst dann, als sie ihm versichert, sie sei als Catcherin die „Würgerin des Languedoc“ gewesen und habe ihre Gegnerinnen immer geschlagen. Die aus Béthune zum Beispiel – und das war Ohms größter Moment, auf dem kleinen Tisch sitzend, mit ausholenden Gesten den Kampf simulierend – habe sie kurzerhand auf den Boden geworfen und dann nur noch gerollt, denn Angriffsflächen habe diese runde Tonne nicht gehabt. Es gab viel zu lachen, und das ist die Stärke des oft holprig gekürzten Stücks: indem das Sterben als intensiver, auch heiterkeitserfüllter Teil des Lebens begriffen wird, erhält selbst ein kurzes Dasein rückwirkend Sinn. Und das Publikum, sofern es sich auf das einfache positive Denken einließ, konnte trotz fehlender dramaturgischer Mittel österlichen Trost finden. Am Ende war es, als habe der kleine Oskar den Körper von Rahel Ohm tatsächlich verlassen: Ein rosa Kittelchen unter den Arm geklemmt verließ sie trauernd und oskarlos den Saal, um sich aber alsbald den Applaussalven der meist zufriedenen Zuschauer hinzugeben. Lore Bardens

Lore Bardens

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