Kultur: Der Zerrissene
Iris Radisch stellt am morgigen Mittwoch ihre Camus-Biografie in der Villa Quandt vor
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Als Albert Camus am 7. November 1913 im algerischen Mondovi in einer Lehmhütte zur Welt kommt und hernach in der Nähe von Algier im ärmlichen Arbeiterviertel Belcourt aufwächst, deutet nichts darauf hin, dass aus ihm einst einer der bekanntesten französischen Schriftsteller und bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts wird. Im Gegenteil: Fast kann man es als Glücksfall betrachten, dass der früh an Tuberkulose erkrankte Junge, dessen Vater im Ersten Weltkrieg fiel, dessen Mutter Analphabetin war und dessen strenge Großmutter ihn oft mit dem Ochsenziemer schlug, nur dank der eifrigen Fürsprache und Förderung seines Lehrers Louis Germain das Nadelöhr ins Himmelreich der Gebildeten finden konnte und nicht in irgendeiner Abstellkammer des Lebens gelandet sei, wie Iris Radisch in ihrer kürzlich erschienenen Biografie „Camus. Das Ideal der Einfachheit“ (Rowohlt Verlag, 19,95 Euro) schreibt.
In diesem Buch, das Iris Radisch am morgigen Mittwoch in der Villa Quandt vorstellen wird, verknüpft die Literaturkritikerin Leben und Werk des Nobelpreisträgers, indem sie ihre Kapitel mit den Begriffen betitelt, die Camus einmal als die für ihn zehn wichtigsten Wörter angab: die Welt, der Schmerz, die Erde, die Mutter, die Menschen, die Wüste, die Ehre, das Elend, der Sommer, das Meer. Äußerst beredt und zuweilen recht spannend schildert Radisch einerseits Camus’ Weg vom dandyhaften Studenten und linken Journalisten in Algier bis hin zum Frauenschwarm und Literaturboheme im Paris der 40er- und 50er- Jahre. Zugleich plädiert sie dafür, „sich dem algerischen Camus zuzuwenden“ und damit einer „Ästhetik der Einfachheit“, welche seiner ärmlichen Herkunft entspringt und der Maßlosigkeit des industriellen Zeitalters in diesem „hässlichen Zweckbau namens Europa“ eine quasi mediterran-antike Bescheidenheit, Naturnähe, Gelassenheit und Lebensliebe gegenüberstellt.
So reicht nach Ansicht von Radisch die seinerzeit als revolutionär empfundene, ungewohnt nüchterne, schnörkellose Sprache in Camus’ Debütroman „Der Fremde“ (1942) auch auf die unsentimentale Erziehung und gleichermaßen „lichtdurchflutete Kindheit“ des Autors zurück. Ebenso aber spiegelt dieser Roman, der die Geschichte eines an der Gesellschaft leidenden, absichtslosen Mörders erzählt, auch bereits Camus’ eigenes Entfremdungsgefühl und seine eigene Zerrissenheit wider. Denn nach der ärmlichen Welt seiner Jugend, diesem „Ideal der Einfachheit“, so Radischs Befund, sehnte Camus sich fortan immer wieder zurück, auch als er in Paris längst als Bestsellerautor und Philosoph des Absurden gefeiert wurde. Jenes Absurde, das Camus in seinem ebenfalls 1942 erschienenen Essay „Der Mythos des Sisyphos“ als Grundbedingung des Seins formuliert. Für ihn ist dieser Held aus der griechischen Mythologie, der von den Göttern dazu verurteilt wurde, für alle Zeiten einen Felsblock einen Berg hinaufzuwälzen, der jedes Mal wieder herunterrollt, ein glücklicher Mensch, da er die Sinnlosigkeit des Daseins akzeptiere und dennoch bereit sei, sich gegen sein Schicksal aufzulehnen.
„Der Fremde“ sowie „Der Mythos des Sisyphos“ und erst recht sein 1947 erschienener Roman „Die Pest“, eine Allegorie auf Faschismus und Krieg, verkaufen sich überaus gut, werden viel diskutiert und machen Camus binnen kürzester Zeit berühmt, gar zum „Pariser Starphilosoph“, wie Radisch schreibt. Dennoch bleibt er in der französischen Hauptstadt mit ihrer überhitzten Kulturszene und den Intellektuellenkreisen um seinen Gegner Jean-Paul Sartre, der die sowjetischen Lager des Gulag als notwendigen Zwischenschritt der Geschichte rechtfertigt und Camus’ Kritik am Marxismus scharf verurteilt, immer ein Außenseiter. Selbst noch, als ihm 1957, inmitten einer Schaffenskrise, der Nobelpreis für Literatur verliehen wird. Treffend und anschaulich beschreibt Radisch dieses zerrissene Leben in zwei unversöhnlichen Welten, der „Mittelmeerutopie“ und später immer wieder verklärten Armut seiner Jugend einerseits und der lautstark tosenden, überladenen Metropole andererseits. Es ist ein tragisches Paradoxon, dass Albert Camus nur wenige Monate, nachdem er weitab von Paris in Lourmarin in ein Landhaus gezogen ist und endlich die ersehnte Einfachheit wiedergefunden hat, am 4. Januar 1960 mit nur 46 Jahren bei einem Autounfall ums Leben kommt.
In ihrer hervorragend geschriebenen Biografie schildert Iris Radisch nicht nur ein abenteuerliches Schriftstellerleben. Kenntnisreich und detailliert, leidenschaftlich und dennoch aus stets gewahrter kritischer Distanz und ohne Autor und Werk gleichzusetzen, gelingt es ihr eindrucksvoll, einen Bogen zwischen der Persönlichkeit Albert Camus und seinem literarischen Schaffen zu spannen und so das facettenreiche Bild einer „atemlosen Existenz“ zu zeichnen. Und nicht zuletzt, mit Blick auf Camus’ Totalitarismuskritik, seine Skepsis gegenüber ungebremstem Wachstum und sein frühes Eintreten für ein vereintes Europa, ist es auch das Porträt eines nach wie vor hochaktuellen Denkers.
Iris Radisch liest am Mittwoch, dem 26. März, um 20 Uhr aus „Camus. Das Ideal der Einfachheit“. Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/4. Die Lesung ist ausverkauft.
Daniel Flügel
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