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Kultur: „Deutsche Jazzer denken zu viel nach“

Der deutsche Jazzmusiker Till Brönner tritt am Dienstag im Nikolaisaal auf

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Der deutsche Jazzmusiker Till Brönner tritt am Dienstag im Nikolaisaal auf Die Meinungen sind gespalten: Von Deutschlands erfolgreichstem Jazztrompeter sprechen die einen, von Supermarktmusik die anderen. Till Brönner verkauft mehr CDs als andere deutsche Jazzmusiker. Jetzt geht er mit seiner neuen Platte „That Summer“ auf Deutschlandtournee. Am Dienstag tritt er im Potsdamer Nikolaisaal auf (20 Uhr). Herr Brönner, Ihre Musik gilt als kommerziell. Oder finden Sie sie innovativ? Jazz war einmal eine ganz wichtige, innovative Kraft, die die Musik generell voranbrachte. Das ist heute nicht mehr so wie in den siebziger Jahren. Traurig, aber wahr. Es ist wie eine Wissenschaft, die langsam erschlossen ist. Jazzmusiker sehen sich aber immer noch mit der Erwartung konfrontiert: Wann macht ihr denn endlich mal was Neues? Wenn Sie nichts Neues mehr erwarten: Wie sieht dann die Zukunft des Jazz aus? Jazz wird immer ein wichtiger Teil der Musik bleiben. Man muss nicht fürchten, dass er seine Wirkung verliert. Er ist in der Popszene inzwischen stärker vertreten als je zuvor. Jazz spricht deswegen so an, weil er die Freiheit repräsentiert. Auch wenn wir jetzt nicht mehr neue Jazzstile erschließen und nicht noch 20 Fahrräder und 13 Badewannen auf die Bühne stellen und das Musik nennen. Wenn Sie so gar nichts Neues erwarten, was ist dann Ihre Aufgabe als Künstler? Die große Aufgabe besteht darin, eine individuelle Note zu entwickeln. Mir ist es wichtiger, dass Menschen mich nach zwei Minuten an meinem Spiel erkennen, als dass sie sagen: Till Brönner hat den Jazz neu erfunden. Warum gelten Trompeter als besonders offene und kommunikative Menschen? Weil niemand nötiger Freunde braucht als ein Trompeter. Es ist ein unheimlich schwieriger Job. Trompeter verbrauchen Kalorien wie Schwerstarbeiter. Man hat viele Feinde, weil man so laut spielt. Jeder kleine Fehler ist sofort zu hören. Moralische Unterstützung ist überlebenswichtig. Weltweit sind alle Trompeter sofort Freunde, wenn sie sich treffen – weil sie mit denselben Problemen kämpfen. Wer es geschafft hat, das Trompetenspiel zu seinem Beruf zu machen, musste auf einiges verzichten. Dafür zollt man sich gegenseitig Respekt. Wie bewerten Sie die deutsche Jazzszene im internationalen Vergleich? Wir kämpfen immer noch mit den Folgen des Nationalsozialismus, in dem der Jazz verboten war. Außerdem beobachte ich, dass deutsche Jazzmusiker viel zu viel nachdenken. Wir analysieren schon, bevor wir überhaupt anfangen. In Holland wird viel freier und unbekümmerter gejazzt. Sie haben an verschiedenen Musikhochschulen unterrichtet. Wie finden Sie den Nachwuchs? Das technische Niveau ist erstaunlich hoch, aber es fehlt oft an Fantasie und Visionen. Viele haben keine Ahnung, was sie mit ihrem Talent anfangen sollen. Sie kommen mir vor wie gut gedrillte Soldaten, die im Ernstfall nicht wissen, in welche Richtung sie laufen sollen. Auf Ihrer neuen CD „That Summer“ singen Sie mehr denn je. Warum wird der Gesang immer wichtiger? Wenn die Texte von Eigenem, selbst Erlebtem handeln, finde ich es schwierig, sie einem anderen zu überlassen. Das wäre nicht authentisch. Ich greife gern zum Mikrofon. Trotzdem: Ich bin mit Leib und Seele Trompeter, und das wird auch immer so bleiben. Das Gespräch führte Sonja Lenz.

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