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Kultur: Deutschland sucht den Superglücklichen
Der Jugendtheaterklub am Hans Otto Theater entdeckte das „Glücksradio“
Stand:
Es fühlt sich an, als hätte gerade jemand einen Sack voller als Lebensweisheiten verkaufter Plattitüden über einem ausgeschüttet. So viele, wie eben maximal in 45 Minuten passen. Darunter Sätze wie „Glück ist Leben, ist wie ein Schrei, der totale Genuss.“, „Glück kommt selten allein.“, „Es gibt noch Träume und die gehören uns!“ oder „Lebe hier und jetzt.“ Zu viele, um tatsächlich jede zu beherzigen. Vielleicht aber konnte der ein oder andere der überwiegend jugendlichen Zuschauer ja doch etwas für sich mit nach Hause nehmen aus der aktuellen Produktion „Glückradio“ des Jugendtheaterklubs am Hans Otto Theater, die am Freitag in der Reithalle Premiere hatte.
Das Glück ist ein gern gesehener Gast im Leben jedes Einzelnen und ein heiß diskutierter obendrein. Kein Wunder also, dass die jungen Regisseure Ulrike Haase und Marcel Weichenhan, beide bereits mit der Theaterarbeit vertraut, Ulrike Haase als Schauspielerin, Marcel Weichenhan als Autor, sich mit diesem doch sehr philosophischen Thema auseinandersetzen. Sie erzählen die Geschichte eines jungen Radiosenders, der verzweifelt nach seinem Profil sucht und überlegt, welche Strategie zu möglichst hohen Einschaltquoten führt. Die Ideen dafür bleiben leider arg standardisiert: Kurze knackige Informationen, möglichst positiv. Sogar die Musik soll positiv sein. Was dann in der als Redaktionssitzung angelegten erste Szene von vier Mitarbeitern des Radiosenders als neue Idee entwickelt wird, ist eine Ansprache an die Glückssuchenden, ein Casting à la „Deutschland sucht den Superglücklichen“.
Diesen Aufruf zum Glückscasting hört auch die 15-jährige Sophie, gespielt von Nathalie Kirchner. Doch es ist nicht dieses Casting, das sie interessiert. Sophie verliebt sie sich auf der Stelle in die Stimme des Moderatoren und überredet ihre Freundin Lucy, mit der sie gerade am Strand sitzt, mit ihr an dieser Radioshow teilzunehmen. Josephina Kaeding in der Rolle der Freundin Lucy ist die Überzeugendste in der Darstellerriege von „Glücksradio“.
Das Casting wird zu einer unterhaltsamen Show, in der eine Mutter ihre Tochter zum singenden Superstar machen möchte, eine junge, etwas spirituell angehauchte Frau negative Energien aus den Räumen der Redaktion verbannen will und ein verkannter Künstler den Hörern draußen an den Radiogeräten die Glücksmomente des Malen vermitteln möchte.
Sophie möchte nur ihrem „Modmajor Tom“, gespielt von Tom Benedict, näher kommen, doch der sitzt hinter einer Scheibe und bleibt so unerreichbar.
Erst in einem philosophischen Gespräch mit der als „Glücksfee“ angestellten Moderatorin des Radiosenders, das als eine Art Schaubild auf einer Leinwand umgesetzt wird, erkennt Sophie, dass sie etwas tun muss für ihr Glück, sich selbst in Bewegung setzen sollte. Also geht sie los und trifft Tom tatsächlich allein im Studio, das plötzlich keine Daseinsberechtigung mehr hat, denn der Radiosender ist abgeschaltet – „Time to say goodbye“.
Die Bemühungen der Redaktion mit ihrem Casting à la „Deutschland sucht den Superglücklichen“ haben augenscheinlich nicht gefruchtet und auch der letzte Zuhörer hat das Programm abgewählt. Für den Theaterzuschauer kommt diese Entwicklung etwas plötzlich, hatte sich diese dramatische Wende doch nicht wirklich abgezeichnet. Unklar bleibt auch, ob Tom und Sophie sich tatsächlich von Angesicht zu Angesicht treffen, denn selbst bei dieser persönlichen Begegnung im stillen Radiostudio bleibt Tom hinter seiner Wand, für die Zuschauer nur als Schattenriss erkennbar. Was die beiden sich dann dort gestehen, ist leider etwas zu dick aufgetragen.
Sophie möchte für immer mit Tom zusammen sein und Tom philosophiert darüber, dass wer viel hat, viel verlieren kann und er Angst vorm Glücksverlust hat. Hier geht, neben dem Fehlen einer konsequent erzählten und auch nachvollziehbaren Geschichte, auch ein wenig die Kunst des Theaters verloren, die doch unter anderem darin besteht, die großen Fragen des Lebens geschickt zu verpacken, anstatt sie dem Zuschauer als Lebensweisheiten verkaufte Plattitüden auf dem Silbertablett zu servieren. Andrea Schneider
Andrea Schneider
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