Kultur: Dezent orientalisch
Ausverkauftes Haus in der Comèdie Soleil zur Inszenierung von Molières „Tartuffe“
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Ausverkauftes Haus in der Comèdie Soleil zur Inszenierung von Molières „Tartuffe“ Von Gerold Paul Geheuchelt oder gelogen? Molières „Tartuffe“ ist seit Generationen der Inbegriff von Doppelzüngigkeit und niederträchtigem Geist. Doch wer sind jene, die einem solchen Falschmünzer im Namen des „Himmels“ glauben, was macht die Augen gegen Verblendungen dumm? Am Donnerstag präsentierte die Comèdie Soleil im endlich ausverkauften Haus das in Potsdam schon mehrfach inszenierte Molière-Stück in der Feuerbachstraße; man musste gar zusätzlich Stühle stellen. Regisseur Michael Klemm (zugleich Darsteller von Cléante, Orgons Schwager) hatte ein Spiel nach Art der französischen Komödie angekündigt, dem Namen seines Hauses damit Ehre gebend. Zugleich sollte es den Blick durch leicht orientalisches Flair auf tödlichen Fanatismus der Gegenwart lenken. Peer Teichmann baute dafür auf der Standard-Bühne einen weiß-gekräuselten Baldachin mit Tisch und Stühlen darunter, so luftig wir praktikabel, indes die Figuren bis zum Gerichtsvollzieher Loyale (Cyrus Rahbar, etwas zu kantig) pludrig-östliche Kluft trugen. Christian Uibel machte im Schneidersitz percussionistische Geräusche. Den Möglichkeiten angemessen, wurde die 12-köpfige Original-Personage auf acht reduziert, was nur beim Finale etwas wunderlich wirkte. Sonst lief die gediegene Inszenierung in der ersten Hälfte federleicht und heiter, in der zweiten eher holprig, die Zeit bis zur Vollendung war vielleicht etwas kurz. Der wohlhabende Bürger und Patriarch Orgon, von Eckhard Becker in einer sprachlich brillanten Art gegeben, ist der Unglücksmensch, welcher den religiösen Heuchler Tartuffe (Detlef Brand) aus der Gosse zog und, trau, schau wem, in sein Haus einführte. Während besonders die alerte Zofe Dorine (Nadja Winter, sehr hübsch) ihn schnell durchschaut, ist Orgon von seiner Frömmigkeit im katholischen Frankreich Ludwig XIV. tief beeindruckt. Er will ihn durch Heirat mit seiner Tochter Mariane (Corinna Wiedenmann jung, mit schönrollenden Augen) an sein Haus binden, überträgt ihm, die Sippe zu ärgern, fatalerweise sogar den ganzen Besitz. Sein Schwachpunkt freilich ist Orgons Gattin Elmire (Christine Ast), welche er mit heißen Lenden begehrt, und erst mit ihrem Körpereinsatz gelingt es schließlich, den spinösen Scheinheiligen zu entlarven. Zu spät, denn schon steht der Vollstrecker ante portas, Orgon nebst den Seinen des eigenen Hauses zu verweisen. Ein schwieriger Part, Rahbar musste hier noch einen aus dem Text gestrichenen Polizeier mit deus-ex-machina-Effekt spielen. Das ging nicht ganz auf, doch was focht es das von Molière entzündete Publikum an! Ende gut, alles gut, Orgon und Elmire entschwanden nach etwa einhundert Minuten turtelnd von der Bühne. Was nun falscher und echter Glaube ist, Frömmigkeit oder Freidenkerei, konnte diese im ersten Teil kraftvolle und erfreulich doppelbödige Inszenierung trotz respektabler Ensembleleistung nicht klären. Schöne Darstellungen von Nadja Winter, Eckhard Becker beim ulkigen Suchen nach Worten, während Michael Klemm sich auf das „Agitieren“ beschränkte und Valère (Nenad Zanic) trotz einer schönen Szene mit seiner Liebsten, Mariane, wenig auffällig blieb. Auch Elmire schien noch ein Kick zum letzten Bühnenglücke zu fehlen. Und Tartuffe? Detlef Brand gab ihn ohne Haar und Perücke weitgehend dunkel, mal so, mal so, jedenfalls bass des besitzergreifenden Plans, welcher der Text ihm zuweist. Hier fehlte etwas bei der Figurenführung, die aktive Rolle als Protagonist. Das Repräsentanzproblem (als Typ des religiösen Scharlatans) und damit die „echte“ Rezeptionsebene wird ja seit eh’ nur selten getroffen. Drehpunkt und größte Herausforderung ist jene Szene, wo der Sophist selbst und ehrlicherweise gesteht, ein heuchlerisches Nichts zu sein, doch der verblendete Orgon glaubt ihm nicht. Das muss größer gemacht werden, den König spielen schließlich immer die anderen. Sorgen, die jeder Moilère-Regisseur gut kennt. Klemms unspektakuläre Inszenierung, mit leichtem Atem zur Kurzweil gemacht, ist gut rhythmisiert, dezent orientalisch und von heiterer Frische – bis hin zur Autorenidee, dass ein gerechtigkeitsliebender Herrscher im Notfall alle Probleme löse. Das ist nun wieder sehr deutsch. Ach, bewegende Happy End’s sind heute selbst auf Bühnen so selten! Nächste Vorstellungen 4. bis 6. August, 20 Uhr, dann Sommerpause bis Mitte September.
Gerold Paul
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