Kultur: Dialog statt Barmherzigkeit
Sie gehören zum traurigen Kontinuum in der täglichen Berichterstattung: Meldungen über afrikanische Bootsflüchtlinge im Mittelmeer. Meist sind es Zahlen, die wir erfahren.
Stand:
Sie gehören zum traurigen Kontinuum in der täglichen Berichterstattung: Meldungen über afrikanische Bootsflüchtlinge im Mittelmeer. Meist sind es Zahlen, die wir erfahren. Die Zahlen über die Toten, die es nicht geschafft haben und im Meer ertrunken sind. Wir sind berührt, schockiert, vielleicht auch schon abgestumpft, zumeist aber distanziert. Denn Afrika und das Mittelmeer sind dann doch weit genug von uns entfernt, als dass uns dieses Elend persönlich betreffen könnte.
Wie relativ diese Entfernung ist, machte am Dienstagabend der Soziologe und Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Jean Ziegler, bei der „Tafelrunde Sanssouci“ in den Neuen Kammern deutlich. Diese Bootsflüchtlinge, die Ziegler „Hungerflüchtlinge“ nannte, seien das Resultat der westlichen, „egozentrischen“ Politik Afrika gegenüber. Eine Politik, die vor allem von Doppelzüngigkeit westlicher Diplomaten geprägt sei. Auf der einen Seite beklagen sie das Elend auf dem schwarzen Kontinent und versprechen Hilfe. Auf der anderen unterstützen sie durch ihre kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen die diktatorischen Eliten in zahlreichen afrikanischen Staaten, die Millionen auf ihren Konten häufen, einen äußerst luxuriösen Lebensstil pflegen, ihr Volk hungern lassen und für deren Elend auf Entwicklungshilfe hoffen.
„Hass auf den Westen. Über die Kehrseite der Globalisierung“ war der Abend in den Neuen Kammern überschrieben, zu dem neben Jean Ziegler der ehemalige Diplomat Volker Seitz nach Potsdam gekommen war. Beide haben in diesen Wochen ihre Bücher „Der Hass auf den Westen“ und „Afrika wird arm regiert“ herausgebracht. Beide sind der Meinung, dass die westliche Politik gegenüber Afrika vor allem eines sei: Ein großer Fehler. Doch während Ziegler sehr emotional und auch polemisch, aber immer klar an den Fakten und Wahrheiten orientiert, diskutiert, spricht aus Seitz der Diplomat mit einer differenzierten Sichtweise. Für den Abend der „Tafelrunde Sanssouci“ war das eine perfekte Wahl. Denn der Schlagabtausch zwischen den beiden Experten verlief auf hohem Niveau, blieb dabei aber immer fair.
Zieglers Analysen waren schonungslos wie desillusionierend. Egal was der Westen auch in Afrika versuche, es verschlimmere nur noch die aktuelle Lage, weil er immer nur aus seiner, einer egozentrischen Sicht handle. Daraus entwickle sich ein „Hass gegen den Westen“ und seine Systeme. Ein Hass, dem Ziegler auch etwas Positives abgewinnt, weil sich aus ihm ein Nationalstolz entwickeln könne, der zu einem neuen Selbstbewusstsein und einer Abgrenzung führe. Trotzdem müsse es darum gehen, diesem Hass zu begegnen. Aber nicht durch Ermahnungen, sondern durch einen Dialog, so Ziegler.
Seitz, der 17 Jahre in Afrika, zuletzt als Botschafter in Kamerun tätig war, stimmte in vielem mit Ziegler überein. Massiv kritisierte er die Entwicklungshilfe der westlichen Staaten, die vor allem die afrikanischen Länder lähme und oft nur die Korruption der Machteliten fördere. Hilfe sei aber weiterhin nötig. Aber keine Hilfe der Barmherzigkeit, sondern eine, durch die die Afrikaner gezwungen werden, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Ein Vorschlag, dem auch Ziegler nicht widersprach. Dirk Becker
Jean Ziegler: Der Hass auf den Westen. Wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren, 19,95 €. Volker Seitz: Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann, 14,90 €
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: