Kultur: Dichtes familiäres Geflecht
Gedenken an den Archivar Wilhelm Dieckmann
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Gedenken an den Archivar Wilhelm Dieckmann Der Historiker Prof. Günter Wirth beschäftigt sich immer wieder mit Potsdam und seiner Geschichte. Zu seinen herausragenden publizistischen Arbeiten gehört das bei Suhrkamp im Jahre 2000 erschienene Buch „Der andere Geist von Potsdam. Zur Kulturgeschichte einer Stadt 1918-1989“. Darin lässt er ein anderes Bild dieser Stadt entstehen, die allzuoft mit dem Klischee von Militarismus und Reaktion bedacht wurde. Wirth hat in diesem Buch und auch in anderen Veröffentlichungen, auch für diese Zeitung, immer wieder auf die liberalen Traditionen, die es in Potsdam in reichem Maße gab, hingewiesen. Gestern wurde er 75 Jahre alt. Hier veröffentlichen wir einen Text, den er unlängst für die PNN schrieb, Er beschäftigt sich mit einer Familie, die den guten Geist der Stadt verkörpert. Einer der ersten zivilen Verschwörer des 20. Juli 1944, die vom NS-Regime hingerichtet wurden, war vor 60 Jahren der Oberregierungsrat im Reichsarchiv Dr. Wilhelm Dieckmann. Was für Potsdamer Familien so charakteristisch war, gilt auch für ihn: Dieckmann gehörte in ein vielfältiges antinazistisches Geflecht. Er hatte Erika Mertz von Quirnheim geheiratet, eine Tochter des Präsidenten des Reichsarchivs bis 1931, Hermann Ritter Mertz von Quirnheim, und war verschwägert mit dem ebenfalls am Reichsarchiv tätig gewesenen Dr. Otto Korfes, der bei Stalingrad als Generalmajor in sowjetische Gefangenschaft geriet und zum Nationalkomitee „Freies Deutschland“ fand. Dieckmann war auch verschwägert mit Oberst Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, dem engsten Mitarbeiter Stauffenbergs. Als einer der ersten wurde er gemeinsam mit Stauffenberg standrechtlich erschossen. Dieckmann, 1893 geboren, kam aus einem evangelischen Pfarrhaus bei Bremerhaven, war im Ersten Weltkrieg Offizier und promovierte 1923 an der Berliner Universität. Im Reichsarchiv war er vor allem mit Arbeiten zur Kriegswirtschaft und zur Behördenorganisation im Ersten Weltkrieg befasst. Zwei Momente sind es gewesen, die ihn politisch und beruflich beeinflussten. Das war der Kirchenkampf, der in Potsdam, nicht zuletzt in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen in der Friedenskirche und mit der Entfernung des regimekritischen Superintendenten Görnandt, heftige Formen annahm. Dieckmann gehörte mit seiner Familie zur Auferstehungsgemeinde, in der mit Pfarrer Iwer ein dem Archivar freundschaftlich verbundener Angehöriger der Bekennenden Kirche amtierte. Das andere Moment war die von Dieckmann wie von anderen Oppositionellen wahrgenommene Deformation des Preußischen und des Nationalen, die vom authentischen Konservativen nur als Verrat am Preußentum angesehen werden konnte. Wilhelm Dieckmann, der 1937/38 zu Reserveübungen beim IR 9 einberufen wurde, übte großen Einfluss auf die jüngeren Potsdamer Offiziere aus. Als er einige Tage nach dem 20. Juli verhaftet wurde, war seine Frau mit drei Kindern in den Ferien. Nur die älteste Tochter, die 16jährige Barbara, die die Oberschule auf Hermannswerder besuchte, war daheim. Dieckmann hatte sie zwischenzeitlich auf angemessene Weise mit dem vertraut gemacht, was am 20. Juli, zumal mit „Onkel Albrecht“ geschehen war. Er hatte ihr auch Hinweise für ihr Verhalten gegeben. Kurz nach dem der Vater verhaftet wurde, nahm man Barbara ebenfalls fest. Auch Dieckmanns Frau kam ins Gefängnis. Die drei jüngeren Geschwister brachte man nach Bad Sachsa, einem Internierungslager für Angehörige der Attentäter. Am 14. September 1944 wurde Barbara Dieckmann entlassen. Sie begab sich nach Blankenburg im Harz, zu ihrer Großmutter. Von ihr erhielt sie die Nachricht, dass der Vater tot ist. Im Oktober 1944 kam die Familie wieder zusammen. Da Barbara Dieckmann als Tochter eines „Verräters“ nicht „würdig“ war, die Oberschule noch länger zu besuchen, musste sie diese (mit mittlerer Reife) verlassen. Nach dem Krieg war sie in verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens tätig, u.a. in Potsdam. Wollte Barbara Dieckmann in den fünfziger Jahren die Großmutter besuchen, fuhr sie nach Birkenwerder in das Haus des DDR-Volkskammerpräsidenten Johannes Dieckmann, der Frau Mertz von Quirnheim bei sich aufgenommen hatte (ihr Mann war 1947 gestorben). Johannes Dieckmann war gleichaltriger Vetter Wilhelm Dieckmanns. Er war in der Weimarer Republik ein angesehener liberaler Politiker. Für Barbara Dieckmann, die heute in Berlin lebt, war Johannes Dieckmann mehr als ein Onkel, fast wie ein Vater. Die Urne Wilhelm Dieckmanns wurde der Familie erst 1946 oder 1947 von der Gefängnisverwaltung in der Lehrter Straße übergeben. Sie wurde zunächst in Blankenburg, dann in Berlin-Pankow beigesetzt. Günter Wirth
Günter Wirth
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