Kultur: Die Abenteuer des Gregor Liebermann
Michael Klemms Roman „Schatten der Seele“
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Gute Science-fiction-Bücher enthalten manchmal mehr Realität, als man denkt. Wäre sonst manche Idee bei Jules Vernes später zur Wirklichkeit geworden? Steht also in dem gerade erschienenen Roman „Schatten der Seele“, alle Figuren und Situationen seien frei erfunden, so sollte man vorsichtig sein. Sein Autor ist schließlich der Potsdamer Michael Klemm, jener, der erst kürzlich in der „Comedie Soleil“ sein Stück über die „Illuminati“ aufgeführt hat. Darin geht er der Frage nach, wer hier die Welt beherrscht, und welchen Freiraum der Einzelne heute noch hat. In „Schatten der Seele“ genauso.
Gleich zu Beginn erlebt Gregor Liebermann, Held in „Schatten der Seele“, Wunder über Wunder: Zuerst findet der Junggeselle eine fremde Frau in seinem Bett, dann ist sie weg, dann wird er im Flur von einer vergewaltigt, kurz danach rumst es draußen zweimal. Ein Attentat, eine Gas-Explosion? Mit dem alten Haus, das da gerade in die Luft flog, verbinden sich genauso viele Geschichten, wie Zufälle mit dem Protagonisten. Ein Tuberkolose-Verdacht zwingt ihn als Kurgast nach Davos, wo er eine Vertraute des Großadmirals Dönitz trifft. Sie erklärt ihm, dass die 1945 besiegten „Reichsdeutschen“ längst überall sind, von der Antarktis bis hoch zum Mond, und dass Hitler eine aus dem Tibet stammende große Idee eigentlich nur stümperhaft versaut hätte. All das hat mit Gregor zu tun, mit den Tagebüchern dieser steinalten, steinreichen Dönitz-Vertrauten, mit seinem Vater, dem explodierenden Haus in Berlin, seinen Nachbarinnen und all den anderen Frauen, die aus dem schüchternen Angsthasen einen richtigen Kerl formen. Ein mächtiges Chaos. Aber trotzdem Respekt: Wer Autor ist, muss mutig sein!
Alle sind hinter diesen Tagebüchern her, dem Geheimnis der unbegrenzten Energie, dem Geheimnis der Deutschen, so dass der Autor seinen stets schläfrigen Helden durch halb Europa hetzt, verfolgt von allerlei geheimen Orden und Diensten. Dann führt er den Leser in die Gegenwart herüber, erzählt, warum es bis heute keinen Friedensvertrag der alten Kriegsgegner gibt, warum die NS-Ideologie nicht ausstirbt, und die Sache mit dem World Trade Center. Er weicht weder dem Thema physikalischer „Parallelwelten“ aus, noch esoterischem Wissen. Auch dem weltweiten Logen-Wesen nicht. Klemm sucht buchstäblich die „Sinn-Zusammenhänge“ des Seins: „Die Wahrheit ist eben oft auch nur ein Teil einer anderen Wahrheit“, heißt es in seinem Nachwort.
Dafür verlässt er schon mal alle ästhetischen Gefilde, bemüht polemisches „Wir“-Gefühl, erklärt sich, statt zu erzählen. Eine intellektuelle Herausforderung, klar, Anspruch setzen und Anspruch einlösen ist nicht immer einerlei Ding. Zuerst ist „Schatten der Seele“ jedoch ein Roman, auch ein Liebesroman, ein ganz seltsamer. Klemm versteht mit viel Raffinesse die Fäden zu knüpfen, und tut das mit einer lakonischen Sprache im Staccato-Takt. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil er oftmals jenen bemüht, der hinter den Dingen alles regiert, König Zufall. Dergestalt knüpft sich ein poröses Gebilde, Handlung genannt, so zufällig wie das Leben, willkürlich wie die Tat eines Mannes, der blanke Logik verabscheut. Hier bekommt „Ce la vie!“ Gestalt, Realität. Ein Buch zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Gedanke und Leben, zwischen Liebe und Macht. Zwischen Tibet und jenem Stück Erde, das man im Himalaja „Land des Mitternachtsberges“ nennt, Deutschland also. Gerold Paul
Michael Klemm: Schatten der Seele, AAVAA Verlag, Berlin 2010, 390 Seiten, 9,95 Euro
Gerold Paul
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