
© HL Böhme
Kultur: Die Angst wegspielen
Moritz von Treuenfels ist ab der neuen Spielzeit Mitglied im Ensemble des Hans Otto Theaters. Den Terror hat er schon als Thema im Gepäck, ab September ist er in „Geächtet“ zu erleben
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Studiert hat er in München – trotzdem ist ihm die Stadt fremder als Potsdam, wo er gerade erst ankommt. Hier hat er Verwandte, hier fühlt er sich verbunden. „Als die Option kam, hierherzuziehen, hab ich sofort ja gesagt.“ Moritz von Treuenfels, ganz neu im Ensemble des Hans Otto Theaters, ist keiner, der die große Abnabelung sucht, das ganz Fremde. „Ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen, ich mag es, von Leuten umgeben zu sein, denen ich nahe bin“, sagt er.
So will er auch Theater spielen: verbunden mit der Stadt, in der er lebt. In Berlin konzentrieren sich alle auf die anderen, das Deutsche Theater schielt auf die Schaubühne, das Gorki auf die Volksbühne und umgekehrt. „Hier hat man ein bisschen einen Freischein, man kann sich bei der Arbeit auf sich konzentrieren, das entspricht mir sehr.“
Vielleicht hat er das mitgenommen aus dem Stress der Ausbildung. An der Falckenberg-Schauspielschule – angegliedert an die renommierten Kammerspiele – wird den Schauspiel-Studenten einiges abverlangt. Das meiste verlangen sie sich aber wohl selbst ab, zumindest solche, wie Moritz von Treuenfels. „Das steht in keinem Verhältnis zu dem, wie der Job später tatsächlich ist – und der ist auch stressig. Dabei hatte er ganz frei angefangen, mit Lust und ganz ohne Angst und es hatte ja funktioniert, er wurde sofort genommen. Als er dann begriff, was alles zum Schauspieler-Dasein gehört, welche Welt sich da auftut, kam ihm die Freiheit abhanden. „Wenn man die Kammerspiele – eines der tollsten Theater – direkt vor Augen hat, setzt man sich natürlich die höchsten Maßstäbe, dann denkt man, man müsste sofort da angelangen.“ Hohe Ansprüche an sich zu haben, das ist schon gut, findet er. Aber wer verunsichert ist, ist eben auch gelähmt.
Die innere Freiheit, mit der er angefangen hatte, die musste er sich nach der Ausbildung erst wieder erarbeiten. Wie schafft man das? „Durch eine krasse Entscheidung.“ Er bekam im zweiten Jahr ein sehr gutes Angebot – wo, will er nicht sagen – und sagte ab. „Ich wusste, dass ich noch nicht bereit dafür war.“ In dem Moment, sagt er, hat sich alles gelöst. Er lässt dabei beide Hände vor dem Körper fallen, gibt kurz seine Körperspannung auf, es muss wirklich eine große Erleichterung für ihn gewesen sein. Ein halbes Jahr später bekam er ein Angebot aus Düsseldorf.
Dort hat er unter anderem Lars Koch gespielt, die Hauptfigur in Ferdinand von Schirachs hochaktuellem Stück „Terror“. Ein Stück, das wie kaum ein anderes derzeit ein modernes ethisches Dilemma verhandelt: Was ist zu tun, wenn ein von Terroristen entführtes Flugzeug auf ein vollbesetztes Fußballstadion zusteuert? Darf man die Würde der Menschen im Flugzeug antasten, um die derer im Fußballstadion zu schützen? Lars Koch, Pilot der Bundeswehr, Hauptfigur in „Terror“, hat das getan – und sitzt dafür, so muss es sein in einem Rechtsstaat – vor Gericht. Ob er schuldig gesprochen wird, entscheiden bei jeder Aufführung die Geschworenen – das Publikum. 39 Theater in Deutschland haben es bisher gespielt, insgesamt 358 Vorstellungen. 336 Mal hat das Publikum Lars Koch freigesprochen. In der kommenden Saison wird es auch das Hans Otto Theater in den Spielplan aufnehmen.
„Ich habe immer gehofft, dass es mal anders ausgeht“, sagt von Treuenfels. Zumindest auf der Debatten-Ebene. Aber selbst, als einmal eine Vorstellung komplett von einer Polizeiakademie gekauft wurde – „Hütern unserer Verfassung“ –, stimmten die mit über 90 Prozent für unschuldig. „Weil die sich so mit Lars Koch identifiziert haben. Ich saß mit dem Rücken zum Publikum auf der Anklagebank und konnte trotzdem energetisch spüren, dass die auf meiner Seite waren.“ Und so sehr er seine Figur auch liebt – so erschrocken war er über das Urteil der Polizisten. „Ich stehe total auf seiner Seite – aber vor allem stehe ich auf der Seite der Verfassung.“
Am Ende ist die Frage unlösbar, findet er. Und vieles, was damit zusammenhängt, irgendwie auch. „Ich bin total gegen Vorratsdatenspeicherung – aber immer, wenn etwas passiert, ertappe ich mich dabei, wie ich denke: sofort alle kontrollieren. Aber das ist falsch.“ Aus einer aufgebauschten Stimmung heraus sollten keine Entscheidungen getroffen werden, findet er. Auch wenn er als Schauspieler weiß, dass jeder zu jeder Zeit von Emotionen und Ängsten geleitet wird.
Mit seinen eigenen Ängsten hat es auch zu tun, dass er Schauspieler geworden ist – und nicht Musiker. Trotz seiner Liebe zum Cello und vor allem zum Klavier, trotz Preisen bei „Jugend musiziert“. „Die Musik ist das Schönste, was ich habe.“ Sprich: die zum Beruf zu machen, hätte bedeutet, sie preisgeben zu müssen, sie als Rückzugsort zu verlieren. Beim Schauspielern aber muss man sich ohnehin öffnen, da kann man sich nicht drin verstecken. Ganz anders ist es, wenn er in einem Stück musiziert. Da zeigt sich dann oft die Kraft des Theaters: Beim Cello-Vorspiel früher war er bis zum Erbrechen aufgeregt – wenn es aber Teil der Rolle ist, kann er es ganz locker nehmen, dann muss er sich nicht ständig überprüfen. Er spielt im Spiel und hat Spaß dabei. „Die Rolle ist ein Schutzschild“, sagt er. In der steht er nicht nackt und bloß vor den Menschen, wie er es mit dem Instrument tut. Deshalb findet er auch die Vorstellung, als er selbst, als Moritz, vor Freunden oder Fremden eine Rede zu halten, unerträglich.
Der Terror übrigens hat ihn auch auf der Bühne noch nicht losgelassen – nicht nur wegen der jüngsten Terroranschläge wie dem von Nizza. Er probt am Hans Otto Theater gerade die andere Seite. In seinem ersten HOT-Stück, „Geächtet“, spielt er Abe, der eigentlich Hussein heißt, ein Amerikaner pakistanischer Herkunft. Einen, der sich angepasst hat, genau wie sein Vorbild, sein Onkel, ein Staranwalt, der sich komplett assimiliert hat. „Abe kämpft noch mit seinen Wurzeln, und irgendwann setzt er sich für einen Imam ein, der unter Terrorverdacht steht – was total schiefgeht“, sagt Moritz von Treuenfels. Abe wird in eine Ecke gedrängt von der Mehrheitsgesellschaft, es passieren ein paar schlimme Dinge und am Ende radikalisiert sich Abe. „Das ist ein bisschen wie bei Eltern, die erwarten, dass ihrem Kind das Ei runterfällt“, sagt er. Natürlich passiert das dann. Man bestätigt oft die Erwartungen, die andere an einen haben, glaubt er. Er aber hat, da ist man sich ziemlich sicher, ein paar Methoden, um diesem Druck von außen zu entkommen.
„Geächtet“ hat am Freitag, dem 23. September, um 19.30 Uhr am Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse Premiere
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