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Kultur: Die Antwort in den Fragen

Die biographischen Aufzeichnungen der Lyrikerin Hanna-Maria Hasenjäger

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Nicht was wir erleben, sondern wie wir es empfinden, was wir erleben, macht unser Schicksal aus. Es ist ein Zitat von Alexander von Humboldt, und Hanna-Maria Hasenjäger hat es treffend an den Anfang ihrer biographischen Aufzeichnungen gestellt. „Und hört nicht auf zu fragen“ heißt das im Eigenverlag erschienene Buch. Hanna-Maria Hasenjäger ist in Potsdam durch manche lyrische Lesung und ihre Veröffentlichungen in Lyrikbänden bekannt, sie lebt mittlerweile in Caputh.

„Denn ich konnte nicht sein, wie ich war, als ich noch klein war – und wollte nicht sein wie ich sollte, als ich noch jung war“, dichtet Hasenjäger über Kindheit und Jugend. Es war an sich ein privilegiertes Umfeld für ein Kind jener Zeit – im reetgedeckten Pfarrhaus in Garz auf Rügen mit dem großen Garten, in dem sie dem summenden Gras zuhörte und mit den Brüdern spielte. Doch es lag etwas Trügerisches auf der hinterpommerschen Idylle: Das jüdische Teppichgeschäft am Schulweg wird zerstört, und auch zu Hause gibt es Vorzeichen herannahender Katastrophen.

Ein kleiner Fluch schleicht sich in die Beziehung der Eltern: Auf der einen Seite die fürsorgliche Mutter, Seele des Hauses. Auf der anderen der tyrannische Vater und Ernährer. Die Autorin beschreibt bildhaft, wie der Fluch durchs Haus raschelt und langsam die Atmosphäre vergiftet. Die Beziehung der Eltern endet, als Hanna-Maria zehn Jahre alt ist – danach sieht sie mit ihren drei Brüdern ihre Mutter nur noch ein einziges Mal. 1945 stirbt die Mutter, als das Fluchtschiff Wolgast in der Ostsee versinkt.

Durch Krieg, Teilung und politische Umbrüche geprägt hat Hanna-Maria Hasenjäger auch im Privatleben Trennung und Wandel erlebt und auch mit 76 Jahren noch viele Fragen an das Leben. Sie nutzt das Buch, um sie offen zu stellen, nach Antworten zu suchen, manchmal in den Fragen selbst. Sie entwickeln sich zu Gedanken, Erinnerungen zu Bildern und Geschichten, sie werden als Fäden im Webteppich eines Lebens erkennbar.

Schwere Zeiten brechen an. Der Vater – politisch im Nazi-Regime und dann beim DDR-Aufbau ein Mitläufer der üblen Sorte – heiratet wieder. Die Familie vergrößert sich – vier kleine Halbgeschwister 1943 bis 1950 – und der großen Tochter bleibt bei all der übertragenen Hausarbeit kaum Zeit für Schule und Abitur. Dann der typhuskranke Bruder – der Vater schickt sie zur Bettwache ins Krankenhaus. Die Tochter steckt sich an im Jahr 1949, und wird erst nach Jahrzehnten wieder ganz gesund. Sie will Krankenschwester werden, muss auf Druck des egozentrischen Familienoberhauptes eine Katechetinausbildung beginnen, soll dann auch diese Ausbildung abbrechen, um Theologie zu studieren und dabei einen Mann zu finden. Als die Tochter sich verweigert, wird sie verstoßen.

Warum das alles? Woher dieses tiefe Misstrauen? Bevor sie die Chance hat, Distanz zu gewinnen, erwachsen zu werden, den Vater zur Rede zu stellen, verstirbt er und hinterlässt ein privates Trümmerfeld. Auch ihre drei Brüder sollen sich bis ins hohe Alter nie ganz aus den väterlichen Fängen lösen. Hanna-Maria Hasenjäger ist Jahrzehnte von Alpträumen verfolgt: Die Aus-Taste des Radios ist wirkungslos, die Männerstimme redet weiter und weiter. Sie benötigt Hilfe, um sich von ihren Herzbeklemmungen zu befreien. Es konnte nur besser werden. Sie löst sich in ihrem Leben konsequent von jedem Absolutheitsanspruch, ob privater, politischer oder religiöser Natur.

Manchmal hat sich die Tochter eine letzte Flaschenpost der Mutter gewünscht. Solcherlei Imaginationen werden in dem Buch von Gedankenstrichen unterbrochen, zerstreuen sich in Pünktchen, und haben doch keine Chance, sich in Absätzen vollends aufzulösen – das Schriftbild ist authentisch mit dem Inhalt verbandelt. So ist auch die Zeitgeschichte mit persönlichem Schicksal verwoben.

Redner und gewisse Prediger sind der Autorin suspekt – wenn sich Wissensvermittlung mit Ideologie vermischt, wie damals beim Schuleintritt 1937. Bei aller Skepsis gegen die DDR kann sie den Geboten der Jungpioniere dennoch etwas abgewinnen, die sie kühn mit den zehn Geboten vergleicht. Hasenjäger interessieren Menschen, die Fragen stellen. Die Kirche mit ihren Wertmaßstäben bleibt derweil eine Insel außerhalb der Zusammenbrüche und Verzweiflungen von 1945 und 1989, wird Rückzug vor der verordneten DDR-Ideologie.

Was bleibt an Hinterlassenschaften ihrer Generation? „Was bleibt von dem, worum wir uns bemüht haben? Welche Werte haben wir bestärkt und vermehrt?“ Ihr stiller Appell ist glaubwürdig: Und hört nicht auf zu fragen! Hanna-Maria Hasenjäger hat ein sehr persönliches Buch geschrieben. Man hört ihr gern zu – und möchte fragen.

Am Dienstag, 4. September, wird die Autorin um 18 Uhr zu einer Buchpräsentation mit Lesung und Gespräch im Lesecafé der Stadt- und Landesbibliothek, Am Kanal 47, erwartet.

„Und hört nicht auf zu fragen“ ist im Verlag Pro Business Berlin erschienen. 23,40 Euro, ISBN 978-3-939430-19-3.

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