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Da hilft nur laut sein. Abweichen von der Norm ist schwer, auch für Elin (Leonie Rainer) und Agnes (Lea Willkowsky).

© Göran Gnaudschun

„Fucking Åmål“ am Hans Otto Theater: Die beste Bitch

Das HOT-Theaterstück „Fucking Åmål“ ist mehr als ein belangloses Porträt über das Erwachsenwerden.

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Zugegeben: Die besten Voraussetzungen sind es nicht, wenn man die – Achtung, Zitat – „Scheiß Lesbe“ in einer schwedischen Kleinstadt ist. Erst recht nicht, wenn das komplette soziale Netz in diesem gottverlassenen Kaff so sehr mit sich selbst beschäftigt ist, so in seinem immer gleichen Trott, dass es gar keine Möglichkeit gibt, diese Außenseiterrolle jemals verlassen zu können. Aber an den schlimmsten Orten passieren ja oft die besten Geschichten.

Nach dem rabenschwarzen Stück „Die Kunst des negativen Denkens“ hat das Hans Otto Theater erneut einen skandinavischen Stoff in den Spielplan gehievt: Am Mittwochabend hatte das Jugendtheaterstück „Fucking Åmål“ – nach dem gleichnamigen Film des schwedischen Autors und Regisseurs Lukas Moodysson – in der Reithalle Premiere.

Agnes, gespielt von Lea Willkowsky, ist also ganz unten in der sozialen Hierarchie dieser Siedlung namens Åmål, irgendwo im schwedischen Hinterland, weit entfernt vom Sehnsuchtsort Stockholm. Das Stigma der Homosexualität klebt an der 15-Jährigen, fast, als wäre sie eine mittelalterliche Infektion. Sie ist für die anderen ein Opfer, ein gefundenes Fressen. Und als ob das im Dauersturm der Adoleszenz nicht unsexy genug wäre, ist ihr einziger Anschluss nur die angeknackste Versagerin Victoria – brillant gespielt von Denia Nironen als Teenager –, die sich im Rollstuhl durch die feindselige Szenerie chauffiert, „eine spastische Kuh, die sich Justin Bieber reinzieht“, so die ortsinterne Zuschreibung. Eine Lesbe und eine Behinderte also, in eigenartiger Symbiose, abgestempelt als Verlierer. Ganz anders als Agnes ist Elin (Leonie Rainer), die sich mit ihrer ein Jahr älteren Schwester Jessica (wieder Denia Nironen) um die Hoheit prügelt, die bessere Bitch zu sein: Vielleicht das typische Verhalten für eine 15-Jährige, die glaubt, sich den Platz im Leben durch Lautstärke sichern zu müssen. Als sich Elin und Agnes auf einer Party schließlich – so muss es ja kommen – doch annähern, werden die festgefahrenen Strukturen ordentlich aufgebröckelt. Das liegt hauptsächlich an der großartigen Leonie Rainer, die über die Bühne fegt, als ob es kein Morgen gibt.

Ein Theaterstück, das für Jugendliche geschrieben wurde, muss vielleicht einiges bieten, um Aufmerksamkeit beim Publikum zu erzeugen – und das geht nun mal am besten durch Lautstärke. So inszeniert Regisseur Andreas Rehschuh, der inoffizielle Komödienspezialist am Hans Otto Theater, zunächst viel Gebrüll, viel blickdicht versiegelte Oberfläche, und reichlich explizite Jugendsprache. Irgendwann lichtet sich dann aber der Nebel schriller Gesten – und offenbart die tieferliegenden Gemeinheiten dieser Coming-of-Age-Geschichte. Überforderte alleinerziehende Väter etwa, die der Dominanz der Teenager rein gar nichts entgegenzusetzen haben. Überhaupt sind die Männer im Stück eher die Verlierer, bestenfalls nützliche Idioten – ein fast schon feministisches Plädoyer entsteht so.

Dass das so gut gelingt, ist nicht selbstverständlich: Das Genre des Jugendtheaters hat es nicht gerade leicht am Hans Otto Theater: Die Zielgruppe ist finanzschwach, mit niedrigschwelligen Angeboten lässt sich der Aufwand kaum refinanzieren – weshalb ohne Doppel- und Dreifachbesetzungen kein Stück zu machen ist. Unter diesen erschwerten Bedingungen ist „Fucking Åmål“ doppelt gut gelungen: Mit welcher Freude Denia Nironen, Friedemann Eckert und Arne Gottschling zwischen den Rollen switchen, das wirkt schnell ansteckend. Auch für Erwachsene. Oliver Dietrich

„Fucking Åmål“ ist wieder zu sehen am Montag, 15. Februar, um 18 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse.

Oliver Dietrich

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