Kultur: Die blutbesudelte Schöne
Potsdam ist Schauplatz für eine Menge Krimis. Die Literaturwissenschaftlerin Brunhilde Wehinger erklärt, warum
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Potsdam ist Schauplatz für Literatur – und oft wird es dabei blutig. Immer häufiger siedeln Autoren ihre mal mehr, mal weniger brutalen, aber doch immerhin todbringenden Verbrechen in der Landeshauptstadt an. Die Settings sind dabei ganz unterschiedlich. Einige spielen, wie etwa „Der Fall Garnisonkirche“ von der Potsdamer Autorin Tini Anlauff, mit stadtinternen Politika, andere machen das Filmgeschäft in Babelsberg zu einem Ort voller Geheimnisse, wie in Susanne Rüsters Krimi „Abgedreht“ oder kehren zurück an den Preußischen Hof, wie etwa Tom Wolf mit „Nachtviolett“. So mancher Autor reist auch extra nach Potsdam, um seinen Krimischauplatz genau beschreiben zu können, wie etwa Raimon Weber aus Westfalen. Aber was genau reizt die Krimi-Autoren an Potsdam? Was macht die Stadt zu einer besonders guten Krimi-Stadt? Eigentlich: nichts. Sagt die Literaturwissenschaftlerin und Romanistin Brunhilde Wehinger. Und eben doch gleichzeitig: alles.
Wehinger ist seit 2008 als Dozentin an der Universität Potsdam am Institut für Künste und Medien tätig und hat im Rahmen eines Seminars selbst einen Krimikurzgeschichtenband herausgebracht, den sie am 10. Juli beim diesjährigen Literaturfestival Lit:Potsdam vorstellen wird. Verfasst haben die sechs Geschichten die Studenten des Kurses, zwei sind in Potsdam angesiedelt, eine sogar direkt am Unicampus Neues Palais. „Potsdam ist im Prinzip genau die richtige Mischung zwischen Großstadt und Provinz, ein idealer Ausgangspunkt für Krimigeschichten“, sagt Wehinger. Denn literaturhistorisch ist der Krimi ein Phänomen der Großstadt, verlagerte sich später aber auch in ländliche Gebiete. „Der Kriminalroman entstand im frühen 19. Jahrhundert, zwischen Aufklärung und (Schauer-)Romantik, als eine neue Literaturgattung“, sagt die Wissenschaftlerin, deren Forschungsschwerpunkt auf der Kultur- und Literaturgeschichte der europäischen Aufklärung sowie der Literatur der Gegenwart liegt.
Anders als etwa die Werke der Aufklärung beschreiben Krimis die Schattenseiten der menschlichen Seele. „Der Krimi suchte und sucht Antworten auf gesellschaftliche Ängste und Bedrohungen und damit auch auf Unverständliches, denn Angst macht, was unbekannt ist und nicht verstanden wird.“
Die Tatorte waren zunächst in den großen Metropolen Europas angesiedelt, Paris und London waren im 19. Jahrhundert sehr beliebt. „Die Großstadt war kaum mehr durchschaubar und die Krimi-Handlung war meist in der Nacht angesiedelt, was es noch mal bedrohlicher machte“, so Wehinger. Dieses Motiv hält sich während des 20. Jahrhunderts, erweitert auf Städte in den Vereinigten Staaten, wie San Francisco. Später, als Metropolen als Wohnorte der Moderne normaler wurden, kristallisierte sich die ländliche Region als neuer Ort des Verbrechens heraus. „Plötzlich war das Böse auch im Alltag, in der Idylle des Kurorts etwa.“
Agatha Christie, die mit Miss Marple die Frau in der Rolle des Ermittlers einführte, war eine Vertreterin dieser neuen Krimigattung, die bis heute neben dem Großstadtkrimi existiert. „Potsdam bietet nun genau die Mitte aus diesen beiden“, so Wehinger. „Wir haben hier eine große – aber gleichzeitig eine sehr schöne Stadt, in der man zunächst nichts Böses vermuten möchte.“ Auch die schillernd erscheinende preußische Geschichte, die sich hier in Schlössern und Gärten wiederfindet, lade dazu ein, Geheimnisse zu ersinnen.
Ähnlich wie im historischen Roman werden dabei historische Figuren eingeflochten, die eigentlichen Handlungsträger sind jedoch erfunden. Wie etwa in Tom Wolfs Preußenkrimis, in denen ein angeblicher Hofküchenmeister von Friedrich II., Honoré Langustier und seine Tochter Gerardine de Lalande, Kammerfrau von Königin Luise am preußischen Hof, ermitteln. Das idyllische Umland mit Caputh oder Werder bietet zusätzliche Inspiration, zum Beispiel für Tim Pieper, dessen Ermittler in „Dunkle Havel“ seine Frau auf dem Werderaner Baumblütenfest verliert und Jahre später durch einen Mord in der Potsdamer Innenstadt auf eine neue Spur gebracht wird. „Die große Herausforderung bei solchen regionalen Bezügen ist natürlich für den Autor, auch den Ort richtig zu beschreiben“, so Wehinger. Ansonsten kann es passieren, dass er seine Glaubwürdigkeit gegenüber den Lesern verliert. Genau aus diesem Grund kam auch Raimon Weber für seinen aktuellsten Potsdam-Krimi zum Recherchieren nach Potsdam. In einem Vorgänger war ihm nämlich entgangen, dass die Wollestraße in Babelsberg eine Einbahnstraße ist – sofort hagelte es Beschwerden. Auf der anderen Seite identifizieren sich Menschen aber auch stärker mit regionalen Krimis, weil sie die Schauplätze kennen, wie Wehinger sagt.
Auch durch die Nähe zum Wasser sei Potsdam ein guter Tatort, eine Leiche lässt sich schließlich gut in der Havel versenken. „Flüsse spielen immer wieder eine wichtige Rolle in der Geschichte des Krimis, sei es nun die Themse, die Seine oder der Canal Grande“, so Wehinger. Doch letztendlich gelte auch hier: Potsdam eignet sich für Krimis genauso gut wie viele andere Städte – letztendlich entscheide immer die persönliche Vorliebe des Autors. Sarah Kugler
Brunhilde Wehinger stellt den Krimikurzgeschichtenband „Spurensuche Am Neuen Palais“ gemeinsam mit den Autoren am 10. Juli um 15.45 Uhr auf dem Büchermarkt in der Schiffbauergasse vor
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