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Sechs auf einen Streich. Bachs Weihnachtsoratorium mit der Singakademie Potsdam im Nikolaisaal.

©  Manfred Thomas

Von Peter Buske: Die Botschaft hör’ ich wohl

Komplettes und nicht immer überzeugendes „Weihnachtsoratorium“ mit der Singakademie Potsdam

Stand:

„Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“, singt es in der alten steirischen Weihnachtsweise. Alle Jahre wieder erklingt in Kirchen und von Konzertpodien herab aber auch Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“. Diese sechsteilige Kantatensammlung gehört längst zur Adventszeit wie Lichterbaum, Christstolle und Spekulatius, obwohl jede Kantate eigentlich für den gottesdienstlichen Gebrauch an den einstigen drei Weihnachtsfeiertagen, zu Neujahr, am Sonntag nach Neujahr und Epiphaniasfest bestimmt ist. Doch da dieser ursprüngliche Verwendungszweck immer mehr aus der Mode gekommen ist, führt man einzelne Kantaten eben auch zu unpassenden Zeiten auf. Meistens im Dreierpack: entweder I-III oder IV-VI. Mitunter aber auch in der Kombination I-III-VI, weil dann die nötigen drei Trompeter beieinander sind.

Für ihre konzertante Einstimmung in die Adventszeit ging die Singakademie Potsdam diesmal aufs Ganze, ließ alle sechs Kantaten erklingen, um so die gedankliche und musikalische Geschlossenheit der biblischen Fortsetzungsstory von der Geburt Jesu bis zur Huldigung durch die drei Weisen aus dem Morgenland und den Nachstellungen des Herodes erlebbar zu machen. Als Verkündigungspartner im instrumentalen Bereich ist das durch Aushilfskräfte verstärkte Preußische Kammerorchester aus Prenzlau eingeladen, das mit der Materie seit Jahren bestens vertraut ist. Es spielt seinen Part mit nobler Geschmeidigkeit, klanglicher Akkuratesse und umhüllt die zahlreichen Arien mit instrumentalsolistischer Holzbläserbravour. Da verbreitet sich viel erbauliche Stimmung. Für Festlichkeit und strahlenden Glanz sind dagegen die Trompeten zuständig, die intonationssauber bis in die höchsten Lagen eitel Klangwonnen verbreiten.

Doch die von fünf ersten Geigen angeführten Musiker, insgesamt mögen es um die dreißig sein, sind kaum zu vernehmen, wenn es an die Begleitung der monumentalen Chöre und Choräle geht. Da steht ihnen ein 110-köpfiges Choraufgebot gegenüber, gegen das sie vergeblich anspielen. Aus solcher Diskrepanz heraus muss das Gleichgewicht folgerichtig aus den Fugen geraten. Besonders prekär wird’s im jauchzenden und frohlockenden Preisen der Tage, mit dem die Kantate I anhebt. Da können die stimmbeweglichen, klangschlanken und kraftvoll auftrumpfenden Singakademisten Freude und Jubel in den Chören genauso überzeugend gestalten wie innige Liebeshymnen und Glaubensstärke in den Chorälen. Letztere tönen sehr homogen und intonationssauber, denn sie werden genau artikuliert und dynamisch abgestuft.

Eine ausgezeichnete Leistung des nun offiziell sein Amt antretenden künstlerischen Leiters Thomas Hennig, der auch über eine fundierte musikwissenschaftliche Ausbildung verfügt. Vielleicht hat ihn diese bewogen, den Kantatenzyklus nicht so sehr als eine Art himmlisches Theater mit Gefühlsdramatik zu begreifen, sondern eher als einen Versuch theologischer Ausdeutungen biblischen Geschehens, bei der Gefühle eigentlich nur stören?! Und so verstand er sich, der sehr zügige Tempi und eine überaus genaue Zeichengebung liebt, vorwiegend als rationaler Verkündiger einer Heilsbotschaft, ohne zu wissen, ob der Adressat sie in ihrem Kern überhaupt versteht und anzunehmen bereit ist. Aus diesem Missverständnis heraus blieb mancher wortgezeugte Ausdruck blass, wirkte geradezu belanglos. Vor allem bei der Altistin Sabine Stefanie Weiner, die in den Arien („Bereite dich Zion“, „Schlafe, mein Liebster“ und „Schließe, mein Herze“) jegliche Beseelung und marienmütterliche stille Freude vermissen lässt. Wie unbeteiligt, leise, fast gelangweilt tönt ihr Singen, brav vom Blatt abgelesen. War derartige „Gestaltung“ in Brechtscher Verfremdungsmanier etwa dirigentische Absicht?!

Klar und sauber, in der Höhe jedoch glanzlos singt Katharine Hannah Weber den Sopranpart. Gelungen ihre „Echo“-Arie mit leider unsauberen Chorsopranen. Kraftvoll und tempozügig lobpreist Michael Adair den „Großen Herrn und starken König“, um dann in den Bass-Rezitativen mit lyrischem Ausdruck zu überzeugen. Er neigt dabei allerdings oft zu romantisierenden Rubati, wird dann textunverständlich. Dass Tenor Guillaume Francois den Erfordernissen für die Gestaltung der Rezitative des Evangelistenberichts (sicher begleitet von Truhenorgel und Cello) nicht gewachsen ist, trübt den Gesamteindruck des dreistündigen Abends sehr. Und in der „Hirtenarie“ eilt er nicht froh, sondern stolpert er, der nicht als indisponiert angesagt ist, mühsam und gemächlich von Note zu Note. Eine glatte Fehlbesetzung. Da mochten sich finaliter die „stolzen Feinde“ nicht erschrecken, sondern höchstens über seinen Gesangsvortrag wundern. Der Beifall prasselt trotzdem.

Peter Buske

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