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Kultur: Die Eifersucht der kleinen Knaben Urania-Vortrag über den Dämon Eifersucht

Vielleicht ist das 20. Jahrhundert stolzer als die vorherigen gewesen.

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Vielleicht ist das 20. Jahrhundert stolzer als die vorherigen gewesen. Es beanspruchte jedenfalls, alles noch einmal und ganz neu zu erklären. Früchte dieser betont modernen Wirklichkeits-Deutung stellte am Dienstag die Literaturwissenschaftlerin Gertraud Lehnert von der Universität Potsdam in einem recht akademischen Vortrag zum Thema „Eifersucht“ dar. Urania-Chefin Karin Flegel hatte er einst so gut gefallen, dass sie ihn in ihre heiligen Hallen holte. Vermutlich wurde er dem populärwissenschaftlichen Anliegen dieser Bildungsstätte kaum angepasst, denn einerseits setzte er spezifische Kenntnisse zur Literatur voraus, andererseits benutzte er „Denkmodelle“ samt zugehöriger Sprache, wie man sie im Hörsaal des 21. Jahrhunderts braucht, nicht aber im Leben. Kommt man so dem „Dämon Eifersucht“ auf die Spur?

An drei Beispielen versuchte Gertraud Lehnert, dieses „ganz große Gefühl in einer Vielzahl von Verkleidungen“ darzustellen. Eifersucht als „Matrix aller folgenden Gefühle“ habe einen sozialen und einen psychologischen Aspekt. Banalität, Besitzstreben, sozialer Status, aber auch fehlendes Selbstwertgefühl, Verlustängste und „narzisstische Kränkungen“ gehören hierher. Stets handele es sich um etwas „Prozesshaftes“, sagte sie, um das Dreieck Er – Sie – Rivale, wobei letzteres auch eine Sache sein könne. Bevor sie auf ihre Spezialität, die „Recherches“ von Marcel Proust, kam, gab sie ihre methodischen, natürlich stets „moralisch wertfreien“ Wege kund. Zuerst Siegmund Freuds Psychoanalyse, welche sie allerdings auf „die Eifersucht der kleinen Knaben“ reduzierte, die weibliche, vielleicht schrecklichere Seite des allgemeinen Ödipus-Komplexes, ließ sie weg. Dafür glaubt sie mit Freud, dass die Eifersucht „einer Horde von Söhnen“ gegenüber dem Vater der Anfang aller Kultur sei.

Punkt zwei ihrer Ausführungen betraf die eifernde Sucht in Sophokles’ „Medea“, aus der sie schloss, Eifersucht brauche einen kühlen Kopf, um Zerstörung zu wirken. Die himmlische Herkunft dieser Kindsmörderin, und ihre magischen Gaben (der höhere Rahmen also) fanden keine Erwähnung. Dann endlich Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Das schwerwiegende Vergessen eines Mutterkusses am verwöhnten Mutter-Sohn setzt ab 1918 ein gigantisches Epos in Bewegung, dessen Erklärung man keinem Literaturstudenten als Strafarbeit wünscht. Gertraud Lehnert dozierte wie im Hörsaal. Ihre Ausführungen wollten auch hier „moralisch wertfrei“ sein, bezogen sich aber wieder nur auf kleine, große Männer.

Natürlich konnte jeder der meist weiblichen Besucher sofort etwas mit dem französischen Strukturalismus oder der fachspezifischen Hermeneutik anfangen. In Prousts Roman sieht sie das 20. Jahrhundert „modellhaft“, wo „Liebe“ nicht mehr besitzergreifend sein darf, aber auch nicht frei sein kann, sonst fliegt sie davon. Sie beruhe „letztlich auf purer Phantasie“, entstehe „zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort“. Wer genau hinhörte, ahnte, daß es sie im wahren Leben eigentlich gar nicht geben kann: „Erfüllt“, löst sie sich so blitzartig auf wie die Eifersucht, oder sie kommt „romantisch“ daher, ein Deckname für das Platonisch-Minnigliche. Liebe, oder meint’s nur Begehren?

Wo ihr akademischer Lehrauftrag endete und ihre persönliche Meinung zum Thema begann, wollte sie dem Publikum nicht verraten. Warum sollte man ihr dann also glauben? Gerold Paul

Im Herbst folgt ein zweiter Teil zur Eifersucht.

Gerold PaulD

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