Kultur: Die Empfindsamkeit der Legehenne
Uraufführung von „Bodenhaltung“ mit Alexandra Röhrer im Club Charlotte
Stand:
Man sollte das Bild der Legebatterie, in der wir Menschen wie dumme Hühner Zeit unseres Lebens eingesperrt sind, nicht überspannen. Aber die zeitgenössische Dramatik, wie sie die Autorin Melanie Peter in ihrem im Club Charlotte uraufgeführten Stück „Bodenhaltung“ vertritt, nutzt es allzu gerne. Sie kennt die Gewissheit der Alltäglichkeit und Monotonie des Daseins bis zum Überdruss und steht ständig vor dem Problem, dieser Massenmenschhaltung eine individuelle Stimme zu geben. „Alles immer wieder“, sagt Alexandra Röhrer, die so ein Hühnchen namens Manu spielt, das die beste Zeit ihres Lebens gackernd und pickend durch ein völlig durchschnittliches Leben geschritten ist. Diese Manu hat ihrer Welt eine simple Ordnung gegeben: „Radieschen, Brettchen, Petersilchen“, das immer gleiche abendliche Tischgedeck. Klein, aber meins. Rollen, wie der 75 Minuten lange Monolog dieser Manu, glänzen also nicht von außen. Das Spiel muss von innen entfacht werden. Damit der Zuschauer – um bei der Stall-Metapher zu bleiben – von der Einzigartigkeit des Austauschbaren bis zum Ende bei der Stange gehalten wird.
Das Wagnis, ein neues, zeitgenössisches Theaterstück aufgeführt zu sehen, ist für sich schon ein spannendes Ereignis, das in Potsdam trotz der Präsenz des Hans Otto Theaters noch viel zu selten zu erleben ist. Dass „Rohrstahlexpress“, bestehend aus der Regisseurin Isabel Stahl und der Schauspielerin Alexandra Röhrer, auch noch ein Ein-Personen-Stück auswählt, grenzt da schon an Übermut. Alles auf eine Figur, eine Karte, ein „Hühnchen“ zu setzten, dessen Innenleben gerupft wird!
Die typische Künstlichkeit einer Monologsituation macht Röhrer Dank einer zurückhaltenden, aber spürbar straffen Regie von Anfang an vergessen. Die Dramatik schreitet voran, ohne dass Röhrer mit allzu expressiven Gefühlsausbrüchen künstliche Höhepunkte setzen müsste. Diese Manu fühlt, denkt und handelt tatsächlich wie die anderen Hühner um sie herum. Die Kunst hier ist, dass genau dies sehr plastisch gemacht wird. Sicher kommt der ehemaligen HOT-Schauspielerin die intelligente Kunstsprache von Peters Stück zur Hilfe, die bedachtsam den im Kopf voranschreitenden Gedankenschleifen einen ungewöhnlichen Ausdruck gibt. Vordergründig Alltagssprache, eigentlich aber fast ein Gedicht. „Liebe ist: na und“, sagt dies Manu, und damit hat sie, das merken die rund fünfzig Premierengäste im vormals „al globe“ genannten Multifunktionsraum in der Charlottenstraße irgendwie, ganz schön Recht.
Die strohgepolsterte Hühnerstallgeborgenheit dieser Manu gerät durch einen Anruf aus den Fugen, der sich mit einem Piep auf ihrem Anrufbeantworter findet. Hannes, die große Liebe, die sie vor achtzehn Jahren fand, ist plötzlich zum „Zwischenstopp“ in der Nähe. Manu, die lange von Hannes Männerhand geträumt hatte, die „in der Kühltheke zur selben Fischpfanne“ greift, zögert jedoch. Zunächst spürt sie ihren Stolz erwachen, der sich einem Wiedersehen verweigert. Schließlich wäre sie gar nicht einsam, sondern nur „unalleine“. Dann kommen Erinnerungen, die Alexandra Röhrer recht fesselnd umsetzt. Die erste Begegnung in einer Disko, der erste Sex, die überraschende, schmerzvolle Trennung, die tragische Begegnung mit einem Grenzpolizisten. Röhrer steht alleine auf der Bühne, doch es gelingt ihr dabei, ein bisweilen sogar komisches Knistern zu erzeugen, in dem ihr jeweiliges Gegenüber beinahe greifbar wird. Eine rosa Plüschbank, wichtigstes Requisit des Bühnenbildes, dient als Sitz, Liege oder sogar als Bartresen und gliedert die introspektiven Sequenzen zusätzlich räumlich.
Lieber mit dem Fuchs durchbrennen und dem Hennenleben Adieu sagen, oder weiter mit den andern Glucken jeden Tag ein Ei legen? Alexandra Röhrer und Isabel Stahl liefern in „Bodenhaltung“ eine unterhaltsame, dicht gewebte Betrachtung einer Alltagswelt, in der man sich mit seinen gestutzten Flügeln arrangiert hat. Am Ende steht Respekt vor Hühnchen wie Manu, hinter dem sich eigentlich eine Hochachtung vor eines jeden Lebensleistung verbirgt. Für Darstellerin, Buch und Regie ist das kein geringes Lob.
Aufführungen: 28. - 30. Juni, 20 Uhr, Charlottenstr. 31, Tel.: 0331 - 2008859.
Matthias Hassenpflug
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: