
© Wulff/Rowohlt
Kultur: Die Enkelin des Massenmörders
Jennifer Teege und ihre Familiengeschichte in „Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen“
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Diesen Tag im August 2008 wird Jennifer Teege nicht mehr vergessen. Durch Zufall entdeckt die bei einer Pflegefamilie aufgewachsene Tochter einer Deutschen und eines Nigerianers in der Hamburger Zentralbibliothek ein Buch über ihre leibliche Mutter, dessen Inhalt ihr den Boden unter den Füßen wegreißt. Sie ist zu diesem Zeitpunkt 38 Jahre alt und erfährt, dass ihr Großvater Amon Göth ist, jener vor allem aus Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ bekannte, brutale Kommandant des Konzentrationslagers Plaszow bei Krakau. Nach wochenlanger Apathie beschließt Jennifer Teege, ihr dunkles Familiengeheimnis aufzuarbeiten. Sie beginnt zu recherchieren, reist nach Polen an die ehemaligen Orte des Terrors, stellt den Kontakt zur Mutter wieder her und schreibt schließlich ein Buch mit dem Titel „Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen“ (Rowohlt Verlag, 19,95 Euro). Am Donnerstagabend stellte sie es in der von Besuchern schon fast überfüllten Landeszentrale für polische Bildung in Potsdam vor.
Dank des langsamen Tempos und der feinen Betonung, mit der sie mehrere Auszüge aus ihrem Buch vorlas, konnte man sich gut in die Verwirrung und Hilflosigkeit hineinversetzen, welche die Entdeckung bei Jennifer Teege anfänglich ausgelöst hat. Ausgerechnet sie, eine dunkelhäutige Frau, die auch noch jahrelang in Israel studiert hat und fließend Hebräisch spricht, hat einen Großvater, der Juden ermordet hat und dafür 1946 hingerichtet wurde. Und eine Großmutter, an die sie sogar noch sehr schöne Erinnerungen hat, von der sie nun jedoch weiß, dass sie mit Göth in dessen Villa am Rand des Lagers zusammenlebte und bis zu ihrem Tod 1983 die Gräueltaten ihres Mannes weder leugnete noch verurteilte. Teege spricht von der „toxischen Wirkung“ dieser ungeheuren Erkenntnis, vom langen Prozess der Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte, die sie schmerzvoll erkundet und dann aufgeschrieben hat. Nicht als Selbsttherapie, nicht nur, um ihren beiden Kindern eine ähnlich zufällige Konfrontation mit dem schweren Erbe zu ersparen, sondern vor allem als Beitrag der dritten Generation nach dem Holocaust, die das Schweigen der Großeltern und Eltern nicht mehr akzeptiert, sondern Fragen stellt und in einen öffentlichen Dialog treten will. So transportiert Teege den Stoff ihres Buches, diese historisch eingebettete familiäre Spurensuche und ihre eigene Lebensgeschichte, auf eine klar verständliche Weise, sodass sich der Leser womöglich die gleichen Fragen über die Großelterngeneration stellt wie sie. Das bloße Vermitteln von Fakten überlasse sie den Lehrern und Professoren, sagte sie und ist zudem der Ansicht, dass man nicht verstehen könne, wie Amon Göth zum Massenmörder werden konnte und er nur eine Symbolfigur für das Böse bliebe, solange Diskussionen über den Holocaust allein auf akademischer Ebene geführt würden.
Jennifer Teege, die heute als Werbetexterin in Hamburg lebt, gelingt es im Zuge ihrer Aufarbeitung, die Wahrheit zu akzeptieren, die Enkelin eines KZ-Kommandanten zu sein. Auch wenn sie ihn nie kennenlernte, findet sie Abstand zu diesem Menschen, befreit sich von ihrer eigenen Traurigkeit und schafft es auch, ein neues Verhältnis zu ihrer Großmutter zu definieren. Ganz klar verurteilt Teege sie als Mittäterin. Doch gelingt es ihr, die Gefühle und Kindheitserinnerungen zu retten, die sie mit dem Bild der Großmutter verbindet. Ein Differenzierungsprozess, der sich in jener Buchpassage widerspiegelt, die Jennifer Teege zum Abschluss mit bewegter Stimme vorliest und die mit den Worten endet: „Ich hätte gerne einen anderen Großvater. Aber ich hätte immer wieder gerne diese Großmutter.“ Daniel Flügel
Daniel Flügel
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