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Mal kurz innehalten. Wer viel kifft, hat wenig Zeit für die Revolution.

© Philipp Heinz

Kultur: Die experimentelle Moralkeule

Das Theaterstück „Die fetten Jahre sind vorbei“ der Dresdner Theatergruppe "die bühne" in der Reithalle war eine Groteske, die in bekiffter Seligkeit endete.

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Der Zoff beginnt völlig unvermittelt im Foyer der Reithalle: nervöses Herumrennen, anschreien, zwischendurch spielt einer Klavier, dann werden Türen zugeknallt und dahinter weitergebrüllt. Irgendjemand wurde in ein Potsdamer Theater entführt, ist fetzenhaft zwischen dem Gebrüll zu verstehen, und der soll jetzt verschwinden. Aber wie? „Wir malen ihm ein Hitlerbärtchen an und legen ihn auf die Kirchenruine, dann kümmern sich die Linken drum“, schlägt einer vor. Plötzlich taucht das Entführungsopfer auf und proklamiert seelenruhig, „erst mal kacken“ zu müssen. Schon klar: Das Theaterstück „Die fetten Jahre sind vorbei“ der Dresdner Gruppe „die bühne“, das sich an den kapitalismuskritischen Film von Hans Weingartner anlehnt, soll eine Groteske sein. Leider macht viel Gebrüll noch keine Groteske aus (Regie: Peter Wagner), sondern ist zunächst nur anstrengend.

Die Handlung ist kurz erzählt: Die drei jungen Rebellen Jule (Kristina Pflugbeil), Peter (Florian Geissner) und Jan (Robert Richter) entführen den „Kapitalisten“ Hardenberg (Andreas Matthus), den sie in der Folge als Menschen kennenlernen. Was im Foyer beginnt, zieht sich weiter in die enge Dunkelheit des Ganges zur Bühne, wo das Entführungsopfer von einer Kanzel einen DDR-Vortrag über die Schuld des Stillhaltens hält, bevor ihn die Entführer – „Los jetzt, Kapitalist!“ – in den Bühnenraum der Reithalle zwingen. Dort werden dann zum Soundtrack von Black Sabbath Zettel mit Parolen an die Wand geheftet - „Nazis raus!“, „Gute Nacht, Deutschland“, „Wir sind Papst“ - , während der Entführte Möhren schält und in sich reinstopft: Das wird er fast das ganze Stück über machen.

Wenn man Lust hatte, von einer experimentellen Moralkeule eins übergebraten zu bekommen, war man in diesem Stück richtig. Auf alle traf das nicht zu, einige Wenige ergriffen lieber die Flucht in die sichere Nacht. Diejenigen, die sich nicht verjagen ließen, erlebten jedoch ein strukturelles Chaos, das nach einer quälend langen Phase des Kopfschüttelns doch ganz interessant wurde. Das moralinsaure Gepolter setzte sich dankbarerweise nämlich nicht durch, sondern wich einem launigen philosophischen Diskurs, der mit der filmischen Vorlage nur noch wenig zu tun hatte. Ob es daran lag, dass sich die Figuren erst spät fanden oder dass man sich an die absurde Handschrift gewöhnte, spielte irgendwann auch keine Rolle mehr. Zum Schluss sitzen eben alle bekifft und selig auf einer Couch und singen laut und schief „Blowing in the Wind“. Die Revolution ist verschoben.Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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