Kultur: Die Faszination des Kriminellen
Der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi las mit seiner Frau in der Villa Quandt aus ihrem „Selbstportrait“
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Etwas zappelig sitzt er vor dem schwarzen Mikrofon. Fast wirkt er wie ein kleiner, hilfloser Junge, der versucht, sich vor den erwartungsvollen Augen des Publikums zu verstecken. Doch schnell wird klar: Hier kokettiert jemand ganz gewaltig. Denn Wolfgang Beltracchi ist alles andere als schüchtern. Der berühmte Kunstfälscher, der zu sechs Jahren Haftstrafe im offenen Vollzug verurteilt wurde und Anfang Januar auf Bewährung entlassen wurde, strotzt vor charmantem Selbstbewusstsein.
Gemeinsam mit seiner Frau Helene las er am Montag in der Villa Quandt aus ihrem Buch „Selbstportrait“ und stellte sich den Fragen der zahlreichen Zuschauer. Die Stärke des Abends liegt dabei ganz klar auf der Fragerunde. Denn wirklich gut lesen kann das Ehepaar nicht, erzählen dafür umso besser, fast drei Stunden lang. Wenn sie doch mal lesen, unterbrechen sie sich selbst immer wieder, schieben Bemerkungen dazwischen, schweifen kurz ab. Etwa wenn Wolfgang Beltracchi von seiner Begegnung mit Joseph Beuys 1971 berichtet. Flapsig schreibt er, dass er zwar von seiner Schamanenhaftigkeit fasziniert war, aber auf keinen Fall zu seinen Jüngern gehören wollte. „Das sind die Gedanken meines 20-jährigen Ichs“, wirft er dabei beschwichtigend ein. „Nicht dass Sie jetzt denken, ich will Beuys runtermachen.“ Denn, wie er später sagte, er spricht ihm durchaus ein großes Zeichentalent zu. „Nur Malen konnte er eben nicht.“
Er selbst hingegen sei im Prinzip schon mit Talent auf die Welt gekommen. „Ich glaube, es ist eine Art genetischer Defekt, dass ich kann, was ich kann“, so Beltracchi. 1951 geboren, wuchs er im Teutoburger Wald auf und schulte in dieser Zeit sein Sehen. Als Kind sprach er wenig, beobachtete dafür aber stundenlang seine Umgebung. Bei seinem Vater, ein Kirchenmaler und Restaurator, lernte er die Grundlagen der Malerei und überholte ihn schnell, wie er sagte. „Mein Vater hat mich immer gefördert, aber dass ich mal Fälschungen mache, daran hat er natürlich nicht gedacht“, so Beltracchi.
Seit 1972 schuf er etwa 300 falsche Meisterwerke im Stil von Malern wie Heinrich Campendonk, Max Ernst oder Max Pechstein, bis er 2010 schließlich überführt wurde. Es habe ihm einen besonderen Kick gegeben, sich die Handschrift der einzelnen Maler anzueignen, wie er sagte. „Naja, und das Geld hat mich schon auch interessiert.“ Einen Maler, den er nicht nachahmen konnte,habe es nie gegeben, bei einigen brauchte es nur etwas länger als bei anderen. „Manche sind mir während meiner Recherche auch einfach unsympathisch geworden und dann habe ich nichts mehr von ihnen gemalt“, so Beltracchi schmunzelnd. Moralische Bedenken habe er nie gehabt, schließlich habe es keine wirklichen Opfer gegeben, nur verletzte Eitelkeiten.
Als er 1992 seine Frau kennenlernte und sie schließlich einweihte, war diese hin und hergerissen zwischen Faszination und Zweifeln. Schließlich habe sie der Versuchung aber nicht widerstehen können, in dieses Abenteuer mit einzusteigen. „Mich hat das auch immer wieder verblüfft, dass die Kunstexperten jedes Mal der Meinung waren, dass es sich um echte Werke von diesem und jenem Künstler handelte“, sagte sie. „Somit blieb die Faszination natürlich bestehen.“ Allerdings bedauern beide, dass sie es nicht mehr geschafft hätten, ihren Kindern alles zu erklären, bevor sie verhaftet wurden. „Die mussten das alles aus der Presse erfahren, das war wirklich unschön“, so Beltracchi.
Richtig ernst blickte er, als er nach seiner Zeit im Gefängnis gefragt wurde. Gerne spreche er nicht darüber und dort habe es harte Momente der Reue gegeben. „Für kein Geld der Welt würde ich jemals wieder in einer Zelle sitzen wollen“, sagte er. In die Zukunft blickt er, trotz horrender Schulden, positiv: „Ich habe meine Frau und Kinder, die mich lieben. Ich bin ziemlich gesund. Uns geht es gut.“ Sarah Kugler
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