zum Hauptinhalt

Kultur: Die feinen Haarrisse im Glück

Mit Madison Violet und Shannon Lyon ist die Schönheit der Melancholie im Waschhaus zu erleben

Stand:

Diese Leichtigkeit. Niemand würde ihr mehr als zwei Lieder lang trauen. Dazu auch noch der Titel „Skylight“. Das klingt so weit, so frei und viel zu schön, um wahr zu sein. Doch Brenley MacEachern und Lisa MacIsaac lassen Melodien und ihre Stimmen in „Skylight“ springen wie glückselige Lämmer auf einer sattgrünen und blumenwilden Wiese. Und über dieses Idyll wölbt sich der prachtvollste Himmel, den man sich nur denken kann. So viel Lebensfreude ist nur schwer zu ertragen. Denn wenn Geige und Gitarren, Keyboard und Schlagzeug und zweistimmiger Gesang sich in vollendeter Harmonie suhlen, ist es nicht mehr weit bis zum unsäglichen Kleistereimer namens Kitsch.

Doch muss man bei Brenley MacEachern und Lisa MacIsaac, die zusammen als Madison Violet heute im Waschhaus zu erleben sind, nur etwas genauer hinhören, um zu erkennen, dass das Idyll in „Skylight“ nur ein scheinbares ist. Hinter dem schönen Glanz liegen die feinen Haarrisse, die von der Brüchigkeit jeglichen Glücks künden. Und so wundert es nicht, dass auf dem aktuellen Album „Caravan“ von Madison Violet nach dem sonnenblumenstrahlenden „Skylight“ gleich das so sanft niederdrückende und eierschalenzarte „Prayed“ folgt. Da bleibt einem nur die Augen zu schließen und sich langsam in diesen weichen Abgrund ziehen zu lassen. So schön kann Melancholie sein, wenn Brenley MacEachern und Lisa MacIsaac ihr ihre Stimmen leihen.

In ihrer kanadischen Heimat sind Brenley MacEachern und Lisa MacIsaac in der Folk- und Country-Szene längst kein Geheimtipp mehr. Auf ihrem Debüt „Worry The Jury“ loteten sie mit ihren elf Liedern den ganzen Bereich zwischen reinster Singer-Songwriter-Tradition, sparsam dekorierten Pop-Perlen und Country-Balladen mit dezentem Schmelzhäubchen aus. Auf „Caravan“ haben sie diese Taktik noch ein wenig perfektioniert. Das Ergebnis ist gleich geblieben. Schon nach kurzem Hören wird klar, dass man sich den musikalischen Bildern von Brenley MacEachern und Lisa MacIsaac nur noch schwer entziehen können wird.

Mit Madison Violet kommt der kanadische Sänger, Gitarrist und Harmonikaspieler Shannon Lyon ins Waschhaus. Lyon, der 1995 mit „Buffalo White“ sein erstes Soloalbum aufnahm, vertraut auf das Wenige in seinen Liedern. Akustikgitarre und die eigene, leicht raue und von Seelenschmerz und nie zu stillender Sehnsucht gegerbte Stimme reichen ihm oft, um die eindringlichsten Momente zu schaffen. Shannon Lyon schont sich nicht, legt sein tiefstes Gefühlsleben offen, ohne auch nur für einen Moment peinlich oder aufdringlich zu wirken. Denn er schlägt mit seiner Musik eine Saite an, die uns sofort spüren lässt, dass da vorn auf der Bühne einer steht und singt, der uns aus der Seele spricht. Also hingehen, schweigen und einfach nur zu hören. Es könnte einer dieser Abende werden, die man so schnell nicht wieder vergisst. Dirk Becker

Madison Violet und Shannon Lyon spielen heute, ab 21 Uhr, im Waschhaus, Schiffbauergasse. Der Eintritt an der Abendkasse kostet 11 Euro.

Dirk Becker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })