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Kultur: Die Frage nach dem Glück

Dennis Herrmann über Guy Montag in „Fahrenheit 451“ / Premiere am heutigen Donnerstag

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Ausgerechnet Clarrise, ein 16-jähriges Mädchen, setzt etwas in Gang, das ihn vom rechtschaffenen Weg abbringen wird. Eine Plauderei, ein spaßhaftes Geplänkel, das Guy Montag einfach nur genießt. Er, der 30-jährige Feuerwehrmann, gestandenes Mitglied einer Staatselite, folgt amüsiert den naiv-verträumten Äußerungen von Clarrise. Sie sagt, dass sie den Regen liebe, weil der wie Wein schmeckt. Worauf Guy Montag trocken-provokant antwortet: „Wohl eher wie Wasser.“ Sie fragt ihn nach den Sternen und dann, ganz unvermittelt, ob er glücklich sei.

Eine so lächerlich banale, so schwer zu beantwortende Frage. Ein paar Worte nur, die nicht unbedingt tief schneiden müssen. Aber dieser kleine, feine Schnitt, den sie im Inneren von Guy Montag hinterlassen, reicht aus, um alles umzustürzen.

Dennis Herrmann spricht vom ersten Tropfen, dem weitere folgen werden. Diese Frage nach dem Glück, sie ist nur der Anfang. Wenn Guy Montag dann mitansehen muss, wie eine alte Frau mit ihren Büchern verbrennt, bricht in ihm alles Bisherige zusammen und es entsteht etwas Neues, wird aus dem Täter Guy Montag ein Widerständler gegen das System, das er so lange und stolz repräsentiert hat.

Dennis Herrmann spielt diesen Guy Montag in „Fahrenheit 451“ am heutigen Donnerstag in der Reithalle. Inszeniert hat dieses Stück am Hans Otto Theater nach dem gleichnamigen Roman von Ray Bradbury der Regisseur Niklas Ritter. Ein düsteres Stück über eine Gesellschaft, in der Bücher verboten sind und Filme und Drogen für eine kontrollierte Unterhaltung, besser gesagt Ruhigstellung der Menschen sorgen. Aber weil der Mensch ein widerborstiges Biest ist und Verbote nur ungern akzeptiert, braucht es die Feuerwehr, die nach versteckten Büchern sucht und diese verbrennt. Auf ihrer Uniform steht die Zahl „451“, die Fahrenheit-Temperatur, bei der Papier Feuer fängt und Bücher sich entzünden sollen. Dazu noch ein Salamander, von dem es in Legenden heißt, dass er im Feuer überleben kann. Guy Montag ist ein gut funktionierendes Rädchen im totalitären Staatsgetriebe, ein Musterfeuerwehrmann, der den Rauch und den Geruch von Kerosin liebt. Und mit der Karriere läuft es auch gut, denn über ihm steht nur noch sein Vorgesetzter, Captain Beatty.

Für Dennis Herrmann ist dieser Guy Montag zuerst ein Beobachtender, ein nur Reagierender. „Ihm passiert alles, er muss sich verhalten. Guy Montag steht im Zentrum einer auf ihn einwirkenden Welt“, bringt es Herrmann treffend auf den Punkt. Und dann glaubhaft diesen Wandel vom Täter zum Widerständler darzustellen, darin sieht der 28-Jährige für sich die größte Herausforderung. Doch wer Dennis Herrmann, der seit der Spielzeit 2011/12 Ensemblemitglied des Hans Otto Theaters ist, in „Wellen“, „Was ihr wollt“ oder „Der Widerspenstigen Zähmung“ erlebt hat, in „Das Käthchen von Heilbronn“ oder in „Don Carlos“, weiß, dass dieser Mann das Stille und Feine und oft genug kaum Wahrnehmbare in der Veränderung genauso gut beherrscht wie die zügellose Gefühlsexplosion. Dennis Herrmann hat Präsenz, ob nun in der kleinsten Bewegung oder der großen Geste. Eine Präsenz, die wie ein Licht wirkt, das alles auf sich zieht. Und in dem dann genau das passiert, was mit dem geflügelten Wort von der Welt in der Nussschale umschrieben wird: Im Kleinen wird ein ganzer Kosmos sichtbar. Dennis Herrmann ist ein Schauspieler, der einen ganzen Theaterabend prägen kann.

In „Fahrenheit 451“ geht es nun um die Sprache in Form von Büchern, die Wissen und so auch Alternativen weitergibt. Und um einen Staat, der wie in George Orwells „1984“ oder in Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ solche Alternativen, aus der Kritik entstehen kann, nicht duldet und das Wissen kontrollieren will. Für Dennis Herrmann ist das in „Fahrenheit 451“ aber nicht das große Thema. Der Kern ist die Erkenntnis und der Wandel von Guy Montag.

„Er fängt an zu lesen und erkennt, dass in jedem Buch ein Mensch steckt“, sagt Herrmann. Eine Erkenntnis, die einen anderen Menschen vielleicht in den Wahnsinn treiben würde. Denn diese Erkenntnis bedeutet für den Feuerwehrmann Montag ja, dass er, der so viele Bücher verbrannt hat, nicht einfach nur Bücher dem Feuer übergeben hat. Nun erfährt Montag durch diese Bücher die Schönheit und Kraft von Sprache erfahren und versucht, so viele Bücher wie möglich zu retten, sie gar zurückzuholen. Es ist ein Gedicht, das in Guy Montag etwas zum Klingen gebracht hat und das er sogar seiner systemkonformen Frau vorliest. Auf die Frage, ob Guy Montag da nicht größte Naivität zeigt, schüttelt Dennis Herrmann den Kopf. „Er liebt seine Frau“, sagt er. Er will ihr nahebringen, was er durch die Sprache der Bücher neu erfahren hat. Und angefangen hat alles mit der Frage nach dem Glück.

Premiere von „Fahrenheit 451“ am heutigen Donnerstag, 19.30 Uhr, in der Reithalle in der Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331) 98 118

Dirk Becker

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