Kultur: Die freche Nacktheit der Nacht
Nico Baixas“ virtuoses Fingertheater bei den Kinderkultur-Tagen im Waldschloss
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Nico Baixas“ virtuoses Fingertheater bei den Kinderkultur-Tagen im Waldschloss An ein DJ-Pult erinnert den kleinen Jungen der schlichte Tischaufbau vor den Sitzreihen. Dass die schwarze Fläche gleich Tanzparkett, Esstisch, Schauplatz des Überlebenskampfes, Kochplatte und Show-Bühne sein wird, kann der Junge noch nicht ahnen. Noch rockt er mit seinen Klassenkameraden zur spanischen Gitarrenmusik, schaut auf die Discokugel, in der sich der Kronleuchter so schön flimmernd auflöst und tritt die biegsame Lehne des Mädchens in der ersten Reihe nach vorne. Plötzlich beginnt der Kronleuchter zu blinken, das Licht geht von Weiß über zu Rot und lautes gemessenes Klavierstaccato kündigt an, dass gleich irgendetwas passieren wird. Mit schwarzem Hut und Anzug, das Gesicht weiß geschminkt mit hoch geschwungenen Brauenstrichen, betritt Nico Baixas langsam die Bühne. Er ist Schauspieler, Filmwissenschaftler, Autor, Regisseur, Musiker und kommt aus Barcelona. Im Rahmen der 9. Internationalen Kinderkultur-Tage und der Begegnungswoche Spanien im Land Brandenburg, hat er sein virtuoses Fingertheaterstück „La Guinda“ (die Sauerkirsche) im Waldschloss aufgeführt. Die Kinder lachen vergnügt, als die Finger des Künstlers zu Beinen und Händen eines Tangopaares werden. Die rechte Hand, im rotglänzenden engen Handschuh mit schräger schwarzer Fransenborte, ist die Dame. Die linke Hand, schwarzglänzender Handschuh und helle winzige Krawatte, der Herr. Zur Tangomusik stacksen sie stolz und rhythmisch aufeinander zu, um sich mit den Beinen zu umschlingen, voneinander weg, im wedelnden Achten-Schritt. Mit dem Ende des Tangos schwebt das Paar in die Höhe, der Künstler kippt seine Hände in die Waagerechte: Weg sind sie. Doch nicht nur mit seinen Fingern spielt Nico Baixas. Sein ganzer Körper zaubert die verschiedensten Figuren hervor und einfache Requisiten werden zu Spielpartnern und –welten. Der hochgestellte Unterschenkel wird zum Baby. Sein aufs Knie gezeichnetes schreiendes Gesicht umrahmt das hochgezogene Hosenbein wie ein Mützchen. Um das schreckliche Brüllen zu stoppen, wird das Baby mit Fläschchen und Singsang beruhigt und als es eingeschlafen ist, vorsichtig das Hosenbein wieder herunter gezogen. Die Kinder im Publikum mucksmäuschenstill, sie wollen den Schlaf des Babys nicht stören. Das glamouröse Finale, zum Blues einer verführerischen Frauenstimme, lässt die linke Hand im roten Handschuh mit weißer Federboa sich über die Bühne räckeln. Dann im schwarzen Netzhandschuh und schließlich nackt: Spagat an der Rampe. Schnell zurück hinter die Federboa, um die freche Nacktheit der Hand zu verbergen. Nur 15 Kinder hatten das Glück, dieser außergewöhnlichen Kunst und atemberaubenden Fantasie beizuwohnen. Danach ließen sie ihre behandschuhten Hände über die Gartenzäune tippeln. Es ist unbegreiflich, wie Eltern und Lehrende solch wundervolle Ereignisse ungenutzt vorüberziehen lassen. Hoffentlich nutzen sie den Rest der verbleibenden Kulturtage. Dagmar Schnürer Morgen, 10 Uhr, „Emma, die Windfängerin“.
Dagmar Schnürer
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