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Kultur: Die Gelassenheit des alten Kämpfers

In „Das Herz eines Boxers“ treffen Roland Kuchenbuch und Florian Lenz aufeinander

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Für Florian Lenz ist die Sache klar. „Ich wäre mit dem Messer losgegangen und hätte ihn abgestochen“, sagt er. Roland Kuchenbuch ist von dieser Gewissheit überrascht, fast schon schockiert. „Wirklich?“, fragt er ungläubig. „Ja“, sagt Florian Lenz, „wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich ihn abgestochen. Aber dann habe ich dich kennengelernt. Das war wie ein Geschenk.“

Die Schauspieler Florian Lenz und Roland Kuchenbuch sitzen auf der kleinen Terrasse vor der Kantine des Hans Otto Theaters. Die Sonne gibt sich an diesem Apriltag hochsommerlich gnadenlos und regelmäßig geht der Blick über den Tiefen See hinüber zum Park Babelsberg. Friedlicher und idyllischer könnte es gar nicht sein. Trotzdem hört man interessiert dem Gespräch zwischen Lenz und Kuchenbuch zu, dieser Auseinandersetzung über Gewalt, über die die beiden reden, als würde es sie persönlich betreffen. Dabei geht es nur um ihre Rollen in dem Jugendstück „Das Herz eines Boxers“ (ab 13 Jahren), das am Montag in der Reithalle zur Premiere kommt.

Florian Lenz spielt hier den 16-jährigen Jojo, der wegen eines Mopeddiebstahls zu gemeinnützigen Arbeitsstunden in einem Altersheim verurteilt wurde. Ronald Kuchenbuch spielt Leo, Ende 60, dessen Zimmer Jojo im Altenheim streichen soll. An seinem ersten Tag erlebt Jojo den Heimbewohner Leo als stummes Wrack, der seine Malerarbeiten und Worte nur mit müden Blicken aus seinem Rollstuhl heraus verfolgt. Worte, die es wirklich in sich haben.

„Jojo hat keinerlei Respekt“, sagt Florian Lenz. „Er betritt das Zimmer, macht seine Sprüche und gibt den Ton an nach dem Motto: Ich gebe vor, wie es hier läuft.“ Er redet und redet, macht sich größer, als er ist, verspottet den stummen Leo und öffnet sich gleichzeitig wie ein Buch, in dem Leo nur aufmerksam zu lesen braucht. Und als Jojo an seinem zweiten Tag im Altersheim erzählt in dem Glauben, dass Leo ihn sowieso nicht versteht, dass er gar nicht das Moped geklaut habe, sondern den Diebstahl nur auf seine Kappe genommen hat, um einen Kumpel zu schützen, der sich jetzt über seine gute Tat nur noch lustig macht, sagt Leo auf einmal: „Du hast ja richtig Charakter.“

„Leo hat Gelassenheit gelernt“, sagt Roland Kuchenbuch. Er ist durchs Leben gekommen, nicht immer gut, aber er hat es geschafft. „Er fuhr keinen Rolls Royce, aber auch keinen Trabant“, so Kuchenbuch. Und dass er in seinem Alter in ein Heim gekommen ist, hat Leo auch akzeptiert. Bis ihm diese Peinlichkeit passierte und ein Altenpfleger sich darüber lustig machte. Bei all der Gelassenheit, aber wenn der Respekt fehlt, versteht Leo auch im Alter keinen Spaß. Er ließ den dreisten Pfleger seine Linke spüren, die sie damals „den Stahlhammer“ nannten. Der Pfleger landete auf dem Boden, Leo, weil er nun als gemeingefährlich galt, in der geschlossenen Abteilung des Heims. Nur weil er einen Schlaganfall vortäuschte, lassen sie ihn jetzt in Ruhe. Und dann kommt Jojo in sein Zimmer.

Für Remo Philipp ist „Das Herz eines Boxers“ das Regiedebüt am Hans Otto Theater (HOT). Nach drei Produktionen des Jugendclubs am HOT und seiner Regieassistenz tritt Philipp, um beim Titel des Stückes zu bleiben, zum ersten Mal allein in den großen Ring. Für sein Debüt am großen Haus hat er sich mit dem Zweipersonenstück des Autors Lutz Hübner ein Schwergewicht ausgesucht. „Aber mit Roland Kuchenbuch und Florian Lenz habe ich meine Wunschbesetzung bekommen“, sagt Hübner. Und wer die drei im Gespräch erlebt, spürt sehr schnell, dass sich hier eine Gemeinschaft gefunden hat. Wenn Kuchenbuch und Lenz miteinander über ihre Rollen reden, ist das fast so, als würde man Jojo und Leo erleben. Hübner hört ihnen genau zu, beobachtet sie ganz bewusst. Und niemand braucht Hübner zu fragen, so wie er seinen beiden Schauspielern hier auf der Terrasse der HOT-Kantine zuschaut, sieht er sie, als würden beiden als Jojo und Leo auf der Bühne stehen.

„Das ganze Stück ist wie ein Boxkampf über sieben Runden aufgebaut“, sagt Philipp. Am Anfang lässt der stumme Leo sein Gegenüber Jojo erst einmal ins Leere laufen. Er überlässt ihm die Initiative, damit er ihn studieren kann. Und im richtigen Moment verpasst er ihm mit „Du hast ja richtig Charakter“ den ersten Haken.

Lutz Hübner hat mit „Das Herz eines Boxers“ ein Stück über eine ungewöhnliche Freundschaft geschrieben, das auf unaufdringliche, dafür aber eindringliche Weise zeigt, wie wichtig Respekt und Ehrlichkeit im Miteinander sind. „Jojo will auf jeden Fall Respekt, aber er tut nichts dafür“, sagt Remo Philipp. Fast scheint es, als ob Jojo das gar nicht bewusst ist. Doch dann hilft ihm Leo mit seiner Gelassenheit und seinen verbalen Haken und Geraden auf die Sprünge. Er, der früher als Boxer erfolgreich war, macht ihm so klar, dass Gewalt, dieses überdrehte Machogehabe, in keinem Fall eine Lösung ist. „Das ist ein Beruf wie jeder andere auch. Man versucht, so schnell wie möglich Feierabend zu haben, und ohne ein blaues Auge nach Hause zu kommen“, sagt Leo, als Jojo begeistert entdeckt, dass der alte Mann hier mal ein Star im Ring war.

„Wir sprechen zwar dieselbe Sprache, aber trotzdem verstehen wir uns oft genug nicht“, sagt Roland Kuchenbuch. Zwei Generationen liegen zwischen Leo und Jojo. Oft genug kann Leo Äußerungen und Verhaltensweisen von Jojo nicht verstehen. Auch diese Wut auf den falschen Kumpel nicht, für dessen Mopeddiebstahl er nun büßen muss und zu allem Überdruss von ihm auch noch verspottet wird. Dass er mit seinem Messer losziehen und ihn abstechen will. Aber über all die Verständigungsschwierigkeiten hinweg gibt es etwas, das sie miteinander verbindet. Etwas, das ihnen zeigt – Leo mehr als Jojo –, dass sie sich doch sehr ähnlich sind. Und so wird aus diesem Theaterspielboxkampf eine feine Freundschaft, in der beide einander Respekt zollen und sich gegenseitig zu etwas Glück verhelfen.

Premiere von „Das Herz eines Boxers“ am Montag, dem 28. April, um 18 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 98 11 8

Dirk Becker

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